Die Fahne
Es zog zum Niederwalde, das Denkmal einzuweihn,
Durchs Tal und über die Halde manch Sing- und Turnverein.
Inmitten der, die kamen aus nahem Frankenland,
Las man den stolzen Namen: Suffhäuser Männergesangverband.
Der dickste Sohn des Maines, der trug am Bandelier
Die Fahne des Vereines, Suffhausens schönste Zier,
Die war von Frau’n, vielholden, in Seide weich gestickt.
Suffhausens Wappen, golden: ein Weinschlauch ward darauf erblickt.
Wie sollt‘ ich singen und sagen, was jener Tag erschaut!
Zu schildern wär’s ein Wagen, was allen wohl vertraut.
Mein Amt ist nicht zu melden, wie schön das Fest gelang.
Suffhausens Sangeshelden, den Wackern gilt allein mein Sang.
Sie standen stramm im Gliede, bis das die Hülle sank,
Sie ernteten im Liede den reichsten Beifallsdank,
Und als das Fest vorüber, zog ungebeugt die Schar
Den Rüdersheim hinüber, wo einiges zu trinken war.
Nach alter, deutscher Weise begann das Zechen hier,
Dem Monument zum Preise, mit Flaschen ein Turnier.
Es stritten von Suffhausen die Helden kühn voran:
Sie schluckten, daß mit Grausen und mit Entsetzen all es sah’n!
Die Morgennebel sanken. Da schied im Frühlichtschein
Mit Wanken und mit Schwanken Suffhausen‘s Singverein.
Doch als den Heimatflecken erreicht die wack’re Schar,
Erkannte sie mit Schrecken, weh‘! daß sie ohne Fahne war.
Im „Hahne“ schnöd vergessen, blieb die vielteure stehn.
O Schmach, nicht auszumessen, die dem Verein gescheh’n!
Auf, auf! Man sende eilig vier Mann zum Niederwald
Zu holen, die uns heilig, die teure Fahne alsobald!
Es eilten die vier Mannen, als gält‘ es Gut und Geld,
Wohl durch die dunklen Tannen, wohl über das lichte Feld.
Und sieh‘ als sie im „Hahne“ schweißtriefend eingekehrt,
Da stand die teure Fahne, Gott Lob und Dank! noch unversehrt!
Sie thäten sie umfassen, wie man dem Liebchen thut,
Sie schworen, nie zu lassen sie mehr aus ihrer Hut.
Und setzten in die Nähe sich zu nem Schoppen Weins,
Daß jeder vor sich sähe das edle Kleinod des Vereins.
Nach alter deutsher Weise begannen dann die Vier,
Zu ihres Banners Preise, mit Flaschen ein Turnier.
Zur Ehre von Suffhausen ging da ein Zechen an,
Daß es mit frohem Grausen der Wirt als auch die Gäste sah’n!
Die frühen Nebel sanken. Da zog im Morgengraus
Mit Wanken und mit Schwanken das Vierblatt aus dem Haus.
Doch als den Heimatflecken erreicht die wack’re Schar,
Erkannte sie mit Schrecken, weh‘! daß sie ohne Fahne war.
Aufs neue schnöd vergessen blieb die vielteure steh’n,
O Schmach, nicht auszumessen, die dem Verein gescheh’n!
Zur Sitzung thät man laden sogleich den Singverein,
Um ernsthaft zu beraten, was nun zu thuen möchte sein.
Da sprach nach Grollen und Fluchen der Vorstand lobesan:
„Es gilt ein neu Versuchen – die Fahne muß heran!
Man sende unverzüglich der besten Männer vier.
So glückt es wohl untrüglich, zurück zu bringen das Panier“.
Es eilten die vier Mannen, als gält’s die halbe Welt,
Wohl durch die dunklen Tannen, wohl über das lichte Feld.
Und sieh‘ als sie im „Hahne“ schweißtriefend eingekehrt,
Da stand die teure Fahne - noch immer heil und unversehrt!
Da hing der Ratsherr Lange sich um das Bandelier,
Ergriff die Fahnenstange und rief: „Ich schwöre es hier:
So lang wir heut im „Hahne“, ihr Herrn, uns gütlich thun,
Sollst du, vielteure Fahne, in meiner sichern Linken ruh’n.“
Da huben von Suffhausen die Herrn zu Zechen an:
Sie schluckten, daß mit Grausen die Gäste all es sahn.
Herrn Lange sah man trinken, gewiß allein für vier,
Doch hielt er mit der Linken getreulich das Vereinspanier.
Und mit hellem Klange die Wanduhr zwölfe schlug,
Erhob sich jäh Herr Lange und lallte: „Jetzt genug!
Mich dünkt, daß sich im „Hahne“ die Tische seltsam dreh’n –
Zeit scheint mir’s, mit der Fahne, ihre Herren, jetzt nach Haus zu geh’n!“?
Sie schwankten von den Sitzen, umklammernd alle Bier
Das Banner, sich zu stützen, und wankten aus der Thür,
Doch als den Wackern nächtig die Luft entgegenschlug,
Ward ihnen übermächtig der Rausch, den jeder in sich trug.
Sie taumelten, die Stange umklasternd Hand an Hand –
Da rief der Ratsherr Lange: „Hurra – ich sehe Land!
Die Segel los, Kumpane, und frisch ins Meer hinein!“
Da ließ er von der Fahne und fiel – und alle hinterdrein.
Die Morgennebel sanken. Da fuhr im Frühlichtschein
Ein Bäuerlein die Kranken fahnenlos! ins Städtchen ein.
Zur Sitzung thät man laden stracks den Gesangverband,
Um endlich zu beraten, wie doch das Kleinod käm ins Land.
Da sprach mit kräftigem Fluche der Vorstand lobesan:
„Was nützen all‘ die Versuche? dagegen kommt keins an;
Und wenn wir allesamt gehen, der ganze Singverein –
s' kann keiner doch widerstehen dem niederträchtig guten Wein.
Ich meine, wir lassen’s bleiben, weil’s eben doch nicht glückt.
Man fertige ein Schreiben, daß man die Fahn uns schickt.
Und nun laßt uns eins schmecken!“ – Er sprach’s und es geschah.
Tags drauf erscholls im Flecken: „Hurra, die Fahn‘ ist wieder da!“
Georg Bötticher