Bauernschlauheit
Ein reicher Bauer lag im Sterben
Und sprach zu seiner Frau:
„All‘ meine Habe sollst du erben,
Nur eins beachte mir genau!
Wir hatten immer gut zu leben
Und haben doch, Gott sei’s geklagt,
Den Armen selten was gegeben.
Drum, weil mich nun die Reue plagt;
Versprich mir, dass – sobald ich eingesargt -
Du gleich zum Markt
Mit unserm besten Pferde ziehst
Und vorteilhaft es zu verkaufen siehst,
Um den Erlös mit christlichem Erbarmen
Zu spenden unsres Dorfes Armen!“
Der Bauer starb.
Die Bäuerin, nicht faul,
Nimmt aus dem Stall den allerschönsten Gaul,
Legt ihm den ersten besten Sattel auf,
Trabt in die Stadt und bietet Jedermann
Das Pferd zum Kauf
Mit wohlgesetzten Worten an.
Ein Käufer tritt bald vor sie hin,
Nachdem er sich das Tier genau besehen,
Und fragt: „Was kostet euer Pferd?“ -
„Zwei Kreuzer,“ spricht die Bäuerin,
„Allein: Ihr müsst den Sattel auch erstehen,
Und der ist fünfzig Gulden Wert!“
„Ihr seid ein närrisch Weib!“ – der Käufer
lacht -
„Das ihr so hoch den Sattel angesetzt
Und euern Schimmel nur zwei Kreuzer schätzt!
Doch mit ist’s gleich, wie ihr die Rechnung macht.
Nehmt fünfzig Gulden hier fürs Sattelzeug
Und für den Gaul zwei Kreuzer – Gott mit Euch!“
Der Käufer zog von dannen mit dem Pferd -
Und als die Bäuerin heimgekehrt,
Gab sie getreu nach des Verstorb‘nen Sinn
Zwei Kreuzer für die Armen hin.
Ein Bäuerlein, das gern zur Kirche lief
Und niemals bei der Predigt schlief,
Vernahm mit gläubigem Gemüte,
Dass Gott der Herr stets hundertfach vergüte
Die Wohltat, die man frommen Herzens tut,
Wenn sie vermehren hilft das Kirchengut.
Der Bauer wälzt in seinem Sinn
Die Worte lange her und hin -
Und da er eine Kuh nur hat im Stalle,
Wird plötzlich ihm die Weisheit offenbar:
Gib deine Kuh dem Pfarr! – In jedem Falle
Gibt Gott dir hundert wieder! Was ein Pfarr
Gepredigt, ist doch immer wahr!
Gedacht, getan! – Der arme Narr
Bringt seine Kuh ins Pfarrhaus, wehrt den Dank
Des guten Mannes ab und blinzelt schlau
Und denkt: Ick weit all wöll, worüm ick’s tau!
Am Abend drauf – welch wohlbekannter Klang
Ertönt in seinem Stall, welch trautes Muh!!
Er eilt hinaus – allmächt’ger Gott, hab‘ Dank -
Da steht bei seiner auch des Pfarrers Kuh!
Indes, die Freude währt nicht lang.
Der Pfarrer kommt, Verwahrung einzulegen,
Und spricht: Mein lieber Freund, ich bitte,
Die beiden Kühe gleich zurück gibst du!
Denn deine Kuh hat auf gewohnten Wegen
Vom Weideplatz heimgelenkt die Schritte
Zu ihrem Stall, wie es die Tiere pflegen,
Und mitgenommen auch noch meine Kuh!
Nein – spricht der Bauer – das ist Gottes Segen!
Ihr sagtet‘s selber in der Predigt mir,
Dass Gott pflegt hundertfältig zu vergelten,
Was man aus gutem Herzen tu‘!
Drum lass ich meinen Glauben mir nicht schelten:
Ich gab der Kirche gestern eine Kuh,
Heut gab mir Gott die zweite schon dafür
Und nur noch neunundneunzig fehlen mir!
Richard Zoozmann