Brautzeit

Die Knospe träumt in weicher Hülle
Der Zukunft rosenfarb’gen Traum;
Schon schwebt des einst’gen Duftes Fülle
Um ihres zarten Kelches Saum.
Sie träumt in sonnenhellen Tagen
Von Waldesgrün und Blumenduft,
Von lautem Nachtigallenschlagen
In immersüßer Maienluft.
Der Lenz wird ihr entgegenlachen
Aus jedem Tal, von allen Höh’n,
Denn schön wird sie dereinst erwachen,
Weil vorher schon der Traum so schön.
So fühlt die Braut ein selig Bangen
Voll unbekannter Freud‘ und Lust;
Doch all ihr Sehnen und Verlangen
Ruht wie ein Traum in ihrer Brust.
Wohl ist ein Ahnen hoher Wonne,
Das leuchtend ihren Traum durchweht,
Bis endlich dann die helle Sonne
In ihrem Lebenshimmel steht.
Beglückt wird sie die Deutung lesen,
Wie Sternenschrift in lichtem Schein:
„Wenn schon der Traum so schön gewesen,
Wie schön wird das Erwachen sein?“

Adolf Ebeling