Reineke war nach Hofe gelangt, er dachte die Klagen
abzuwenden, die ihn bedrohten. Doch als er die vielen
Feinde beisammen erblickte, wie alle standen und alle
sich zu rächen begehrten und ihn am Leben zu strafen,
fiel ihm der Mut; er zweifelte nun, doch ging er mit Kühnheit
grade durch alle Baronen, und Grimbart ging ihm zur Seite.
Sie gelangten zum Throne des Königs, da lispelte Grimbart:
Seid nicht furchtsam Reineke, diesmal; gedenket: dem Blöden
wird das Glück nicht zuteil, der Kühne sucht die Gefahr auf
und erfreut sich mit ihr; sie hilft ihm wieder entkommen.

Reineke sprach: Ihr sagt mir die Wahrheit, ich danke zum schönsten
für den herrlichen Trost, und komm ich wieder in Freiheit,
werd ich‘s gedenken. Er sah nun umher, und viele Verwandte
fanden sich unter der Schar, doch wenige Gönner, den meisten
pflegt‘ er übel zu dienen; ja, unter den Ottern und Bibern,
unter Großen und Kleinen trieb er sein schelmisches Wesen.
Doch entdeckt‘ er noch Freunde genug im Saale des Königs.

Reineke kniete vorm Throne zur Erden und sagte bedächtig:
Gott, dem alles bekannt ist und der in Ewigkeit mächtig
bleibt, bewähr Euch, mein Herr und König, bewahre nicht minder
meine Frau, die Königin, immer, und beiden zusammen
geb er Weisheit und gute Gedanken, damit sie besonnen
Recht und Unrecht erkennen; denn viele Falschheit ist jetzo
unter den Menschen im Gange. Da scheinen viele von außen,
was sie nicht sind. O hätte doch jeder am Vorhaupt geschrieben,
wie er gedenkt, und säh es der König! da würde sich zeigen,
dass ich nicht lüge und dass ich Euch immer zu dienen bereit bin.
Zwar verklagen die Bösen mich heftig; sie möchten mir gerne
Schaden und Eurer Huld mich berauben, als wär ich derselben
unwert. Aber ich kenne die strenge Gerechtigkeitsliebe
meines Königs und Herrn, denn ihn verleitete keiner
je, die Wege des Rechtes zu schmälern; so wird es auch bleiben.

Alles kam und drängte sich nun, ein jeglicher musste
Reinekens Kühnheit bewundern, es wünscht‘ ihn jeder zu hören;
Seine Verbrechen waren bekannt, wie wollt er entrinnen?

Reineke, Bösewicht! sagte der König: für diesmal erretten
deine losen Worte dich nicht, sie helfen nicht länger
Lügen und Trug zu verkleiden, nun bist du ans Ende gekommen.
Denn du hast die Treue zu mir, ich glaube, bewiesen
am Kaninchen und an der Krähe! Das wäre genugsam.
Aber du übest Verrat an allen Orten und Enden;
deine Streiche sind falsch und behende, doch werden sie nichtmehr
lange dauern, denn voll ist das Maß, ich schelte nicht länger.

Reineke dachte: Wie wird es mir gehn? O hätt ich nur wieder
meine Behausung erreicht! Wo will ich Mittel ersinnen?
Wie es auch geht, ich muss nun hindurch, versuchen wir alles.

Mächtiger König, edelster Fürst! so ließ er sich hören:
Meint Ihr, ich habe den Tod verdient, so habt Ihr die Sache
nicht von der rechten Seite betrachtet; drum bitt ich, Ihr wollet
erst mich hören. Ich habe ja sonst Euch nützlich geraten,
in der Not bin ich bei Euch geblieben, wenn etliche wichen,
die sich zwischen uns beide nun stellen zu meinem Verderben
und die Gelegenheit nützen, wenn ich entfernt bin. Ihr möget,
edler König, hab ich gesprochen, die Sache dann schlichten;
Werd ich schuldig befunden, so muss ich es freilich ertragen.
Wenig habt Ihr meiner gedacht, indes ich im Lande
vieler Orten und Enden die sorglichste Wache gehalten.
Meint Ihr, ich wäre nach Hofe gekommen, sofern ich mich schuldig
wusste groß- oder kleiner Vergehn? Ich würde bedächtig
Eure Gegenwart fliehn und meine Feinde vermeiden.
Nein, mich hätten gewiss aus meiner Feste nicht sollen
alle Schätze der Welt hierher verleiten; da war ich
frei auf eigenem Grund und Boden. Nun bin ich mir aber
keines Übels bewusst, und also bin ich gekommen.
Eben stand ich, Wache zu halten; da brachte mein Oheim
mir die Zeitung, ich solle nach Hof. Ich hatte von neuem,
wie ich dem Bann mich entzöge, gedacht, darüber mit Martin
vieles gesprochen, und er gelobte mir heilig, er wolle
mich von dieser Bürde befrein. Ich werde nach Rom gehn,
sagt‘ er, und nehme die Sache von nun an völlig auf meine
Schultern, geht nur nach Hofe, des Bannes werdet Ihr ledig.
Sehet, so hat mir Martin geraten, er muss es verstehen:
Denn der vortreffliche Bischof, Herr Ohnegrund, braucht ihn beständig;
schon fünf Jahre dient er demselben in rechtlichen Sachen.
Und so kam ich hierher und finde Klagen auf Klagen.
Das Kaninchen, der Äugler, verleumdet mich; aber es steht nun
Reineke hier: so tret er hervor mir unter die Augen!
Denn es ist freilich was leichtes, sich über Entfernte beklagen
aber man soll den Gegenteil hören, bevor man ihn richtet.
Diese falschen Gesellen, bei meiner Treue! sie haben
Gutes genossen von mir, die Krähe mit dem Kaninchen:
Denn vorgestern am Morgen in aller Frühe begegnet‘
mir das Kaninchen und grüßte mich schön; ich hatte soeben
vor mein Schloss mich gestellt und las die Gebete des Morgens.
Und er zeigte mir an, er gehe nach Hofe; da sagt ich:
Gott begleit‘ Euch! Er klagte darauf. Wie hungrig und müde
bin ich geworden! Da fragt ich ihn freundlich: Begehrt Ihr zu essen?
Dankbar nehm ich es an, versetzt‘ er. Aber ich sagte:
Geb ich‘s doch gerne. So ging ich mit ihm und bracht ihm behende
Kirschen und Butter: ich pflege kein Fleisch am Mittwoch zu essen.
Und er sättigte sich mit Brot und Butter und Früchten.
Aber es trat mein Söhnchen, das jüngste, zum Tische, zu sehen,
ob was übriggeblieben: denn Kinder lieben das Essen;
Und der Knabe haschte danach. Da schlug das Kaninchen
hastig ihn über das Maul, es bluteten Lippen und Zähne.
Reinhart, mein andrer, sah die Begegnung und fasste den Äugler
grad an der Kehle, spielte sein Spiel und rächte den Bruder.
Das geschah, nicht mehr und nicht minder. Ich säumte nichtlange,
lief und strafte die Knaben und brachte mit Mühe die beiden
auseinander. Kriegt er was ab, so mag er es tragen,
denn er hatte noch mehr verdient; auch wären die Jungen,
hätt‘ ich es übel gemeint, mit ihm wohl fertig geworden.
Und so dankt er mir nun! Ich riss ihm, sagt er, ein Ohr ab;
Ehre hat er genossen und hat ein Zeichen behalten.
Ferner kam die Krähe zu mir und klagte: die Gattin
hab er verloren, sie habe sich leider zu Tode gegessen,
einen ziemlichen Fisch mit allen Gräten verschlungen;
Wo es geschah, das weiß er am besten. Nun sagt er: ich habe
sie gemordet; er tat es wohl selbst, und würde man ernstlich
ihn verhören, dürft ich es tun, er spräche wohl anders.
Denn sie fliegen, es reichet kein Sprung so hoch, in die Lüfte.
Will nun solcher verbotenen Taten mich jemand bezichten,
tu er‘s mit redlichen, gültigen Zeugen: denn also gehört sich‘s,
gegen edle Männer zu rechten; ich müsst es erwarten.
Aber finden sich keine, so gibt‘s ein anderes Mittel.
Hier! Ich bin zum Kampfe bereit! Man setze den Tag an
Und den Ort. Es zeige sich dann ein würdiger Gegner,
gleich mit mir von Geburt, ein jeder führe sein Recht aus.
Wer dann Ehre gewinnt, dem mag sie bleiben. So hat es
immer zu Rechte gegolten, und ich verlang es nicht besser.

Alle standen und hörten und waren über die Worte
Reinekens höchlich verwundert, die er so trotzig gesprochen.
Und es erschraken die beiden, die Krähe mit dem Kaninchen,
räumten den Hof und trauten nicht weiter ein Wörtchen zu sprechen,
gingen und sagten untereinander: Es wäre nicht ratsam,
gegen ihn weiter zu rechten. Wir möchten alles versuchen,
und wir kämen nicht aus. Wer hat‘s gesehen? Wir waren
ganz allein mit dem Schelm; wer sollte zeugen? Am Ende
bleibt der Schaden uns doch. Für alle seine Verbrechen
warte der Henker ihm auf und lohn ihm, wie er‘s verdiente!
Kämpfen will er mit uns? das möcht uns übel bekommen.
Nein, fürwahr, wir lassen es lieber. Denn falsch und behende,
lose und tückisch kennen wir ihn. Es wären ihm wahrlich
unser fünfe zu wenig, wir müssten es teuer bezahlen.

Isegrim aber und Braunen war übel zumute; sie sahen
ungern die beiden von Hofe sich schleichen. Da sagte der König:
Hat noch jemand zu klagen, der komme! Lasst uns vernehmen!
Gestern drohten so viele, hier steht der Beklagte! wo sind sie?

Reineke sagte: So pflegt es zu gehn, man klagt und beschuldigt
diesen und jenen; doch stünde er dabei, man bliebe zu Hause.
Diese losen Verräter, die Krähe mit dem Kaninchen,
hätten mich gern in Schande gebracht und Schaden und Strafe,
aber sie bitten mir‘s ab, und ich vergebe; denn freilich,
da ich komme, bedenken sie sich und weichen zur Seite.
Wie beschämt ich sie nicht! Ihr sehet, wie es gefährlich
ist, die losen Verleumder entfernter Diener zu hören;
Sie verdrehen das Rechte und sind den Besten gehässig.
Andre dauern mich nur, an mir ist wenig gelegen.

Höre mich, sagte der König darauf: du loser Verräter!
Sage, was trieb dich dazu, dass du mir Lampen, den treuen,
der mir die Briefe zu tragen pflegte, so schmählich getötet?
Hatt‘ ich nicht alles vergeben, so viel du immer verbrochen?
Ränzel und Stab empfingst du von mir, so warst du versehen,
solltest nach Rom und über das Meer; ich gönnte dir alles,
und ich hoffte Besserung von dir. Nun seh‘ ich zum Anfang,
wie du Lampen gemordet; es musste Bellyn dir zum Boten
dienen, der brachte das Haupt im Ränzel getragen und sagte
öffentlich aus, er bringe mir Briefe, die ihr zusammen
ausgedacht und geschrieben, er habe das Beste geraten.
Und im Ränzel fand sich das Haupt, nicht mehr und nicht minder.
Mir zum Hohne tatet ihr das. Bellynen behielt ich
gleich zum Pfande, sein Leben verlor er; nun geht es an deines.

Reineke sagte: Was hör ich? Ist Lampe tot? und Bellynen
find ich nicht mehr? Was wird nun aus mir? O wär ich gestorben!
Ach, mit beiden geht mir ein Schatz, der größte, verloren!
Denn ich sandt‘ Euch durch sie Kleinode, welche nicht besser
über der Erde sich finden. Wer sollte glauben, der Widder
würde Lampen ermorden und Euch der Schätze berauben?
Hüte sich einer, wo niemand Gefahr und Tücke vermutet.

Zornig hörte der König nicht aus, was Reineke sagte,
wandte sich weg nach seinem Gemach und hatte nicht deutlich
Reinekens Rede vernommen, er dacht ihn am Leben zu strafen;
Und er fand die Königin eben in seinem Gemache
mit Frau Rückenau stehn. Es war die Äffin besonders
König und Königin lieb. Das sollte Reineken helfen.
Unterrichtet war sie und klug und wusste zu reden;
Wo sie erschien, sah jeder auf sie und ehrte sie höchlich.
Diese merkte des Königs Verdruss und sprach mit Bedachte
wenn Ihr, gnädiger Herr, auf meine Bitte zuweilen
hörtet, gereut‘ es Euch nie, und Ihr vergabt mir die Kühnheit,
wenn Ihr zürntet, ein Wort gelinder Meinung zu sagen.
Seid auch diesmal geneigt, mich anzuhören, betrifft es
doch mein eignes Geschlecht! Wer kann die Seinen verleugnen?
Reineke, wie er auch sei, ist mein Verwandter, und soll ich,
wie sein Betragen mir scheint, aufrichtig bekennen: ich denke,
da er zu Rechte sich stellt, von seiner Sache das Beste.
Musste sein Vater doch auch, den Euer Vater begünstigt,
viel von losen Mäulern erdulden und falschen Verklägern!
Doch beschämt‘ er sie stets. Sobald man die Sache genauer
untersuchte, fand es sich klar: die tückischen Neider
suchten Verdienste sogar als schwere Verbrechen zu deuten.
So erhielt er sich immer in größerem Ansehn bei Hof, als
Braun und Isegrim jetzt: denn diesen wäre zu wünschen,
dass sie alle Beschwerden auch zu beseitigen wüssten,
die man häufig über sie hört; allein sie verstehen
wenig vom Rechte, so zeigt es ihr Rat, so zeigt es ihr Leben.

Doch der König versetzte darauf: Wie kann es Euch wundern,
dass ich Reineken gram bin, dem Diebe, der mir vor kurzem
Lampen getötet, Bellynen verführt und frecher als jemals
alles leugnet und sich als treuen und redlichen Diener
anzupreisen erkühnt, indessen alle zusammen
laute Klagen erheben und nur zu deutlich beweisen,
wie er mein sicher Geleite verletzt und wie er mit Stehlen,
Rauben und Morden das Land und meine Getreuen beschädigt.
Nein! ich duld‘ es nicht länger! Dagegen sagte die Äffin:
Freilich ist‘s nicht vielen gegeben, in jeglichen Fällen
klug zu handeln und klug zu raten, und wem es gelinget,
der erwirbt sich Vertrauen; allein es suchen die Neider
ihm dagegen heimlich zu schaden, und werden sie zahlreich,
treten sie öffentlich auf. So ist es Reineken mehrmals
schon ergangen; doch werden sie nicht die Erinnerung vertilgen,
wie er in Fällen Euch weise geraten, wenn alle verstummten.
Wisst Ihr noch (vor kurzem geschah‘s) der Mann und die Schlange
kamen vor Euch, und niemand verstund die Sache zu schlichten;
Aber Reineke fand‘s, Ihr lobtet ihn damals vor allen.

Und der König versetzte nach kurzem Bedenken dagegen:
Ich erinnre der Sache mich wohl, doch hab ich vergessen,
wie sie zusammenhing; sie war verworren, so dünkt mich.
Wisst Ihr sie noch, so lasst sie mich hören, es macht mir Vergnügen.
Und sie sagte: Befiehlt es mein Herr, so soll es geschehen.

Eben sind‘s zwei Jahre, da kam ein Lindwurm und klagte
stürmisch, gnädiger Herr, vor Euch: es woll‘ ihm ein Bauer
nicht im Rechte sich fügen, ein Mann, den zweimal das Urteil
nicht begünstigt. Er brachte den Bauer, vor Euern Gerichtshof
und erzählte die Sache mit vielen heftigen Worten.

Durch ein Loch im Zaune zu kriechen, gedachte die Schlange,
fing sich aber im Stricke, der vor die Öffnung gelegt war,
fester zog die Schlinge sich zu, sie hätte das Leben
dort gelassen, da kam ihr zum Glück ein Wandrer gegangen.
Ängstlich rief sie: Erbarme dich meiner und mache mich ledig!
Lass dich erbitten! Da sagte der Mann: Ich will dich erlösen,
denn mich jammert dein Elend; allein erst sollst du mir schwören,
mir nichts Leides zu tun. Die Schlange fand sich erbötig,
schwur den teuersten Eid: sie wolle auf keinerlei Weise
ihren Befreier verletzen, und so erlöste der Mann sie.

Und sie gingen ein Weilchen zusammen, da fühlte die Schlange
schmerzlichen Hunger, sie schoss auf den Mann und wollt‘ ihn erwürgen,
ihn verzehren; mit Angst und Not entsprang ihr der Arme.
Das ist dein Dank? Das hab ich verdient? so rief er: und hast du
nicht geschworen den teuersten Eid? Da sagte die Schlange:
Leider nötiget mich der Hunger, ich kann mir nicht helfen;
Not erkennt kein Gebot, und so besteht es zu Rechte.
Da versetzte der Mann: So schone nur meiner so lange,
bis wir zu Leuten kommen, die unparteiisch uns richten.
Und es sagte der Wurm: Ich will mich so lange gedulden.
Also gingen sie weiter und fanden über dem Wasser
Pflückebeutel, den Raben, mit seinem Sohne; man nennt ihn
Quackeler. Und die Schlange berief sie zu sich und sagte:
Kommt und höret! Es hörte die Sache der Rabe bedächtig,
und er richtete gleich: den Mann zu essen. Er hoffte,
selbst ein Stück zu gewinnen. Da freute die Schlange sich höchlich:
Nun, ich habe gesiegt! es kann mir‘s niemand verdenken.
Nein, versetzte der Mann: ich habe nicht völlig verloren;
Sollt ein Räuber zum Tode verdammen? und sollte nur Einer
richten? ich fordere ferner Gehör, im Gange des Rechtes;
Lasst uns vor vier, vor zehn die Sache bringen und hören.

Gehn wir! sagte die Schlange. Sie gingen, und es begegnet‘
ihnen der Wolf und der Bär, und alle traten zusammen.
Alles befürchtete nun der Mann: denn zwischen den fünfen
War es gefährlich zu stehn und zwischen solchen Gesellen;
Ihn umringten die Schlange, der Wolf, der Bär und die Raben.
Bange war ihm genug: denn bald verglichen sich beide,
Wolf und Bär, das Urteil in dieser Maße zu fällen:
Töten dürfe die Schlange den Mann; der leidige Hunger
kenne keine Gesetze, die Not entbinde vom Eidschwur.
Sorgen und Angst befielen den Wandrer, denn alle zusammen
wollten sein Leben. Da schoss die Schlange mit grimmigem Zischen,
spritzte Geifer auf ihn, und ängstlich sprang er zur Seite.
Großes Unrecht, rief er: begehst du! Wer hat dich zum Herren
über mein Leben gemacht? Sie sprach: Du hast es vernommen;
Zweimal sprachen die Richter, und zweimal hast du verloren.
Ihr versetzte der Mann: Sie rauben selber und stehlen;
Ich erkenne sie nicht, wir wollen zum Könige gehen.
Mag er sprechen, ich füge mich drein; und wenn ich verliere,
hab ich noch Übels genug, allein ich will es ertragen.
Spottend sagte der Wolf und der Bär: Du magst es versuchen,
aber die Schlange gewinnt, sie wird‘s nicht besser begehren.
Denn sie dachten, es würden die sämtlichen Herren des Hofes
sprechen wie sie, und gingen getrost und führten den Wandrer,
kamen vor Euch, die Schlange, der Wolf, der Bär und die Raben.
Ja, selbdritt erschien der Wolf, er hatte zwei Kinder,
Eitelbauch hieß der eine, der andre Nimmersatt, beide
Machten dem Mann am meisten zu schaffen; sie waren gekommen,
auch ihr Teil zu verzehren, denn sie sind immer begierig,
heulten damals vor Euch mit unerträglicher Grobheit.
Ihr verbotet den Hof den beiden plumpen Gesellen.
Da berief sich der Mann auf Eure Gnaden, erzählte,
wie ihn die Schlange zu töten gedenke, sie habe der Wohltat
völlig vergessen, sie breche den Eid! So fleht‘ er um Rettung.
Aber die Schlange leugnete nicht: Es zwingt mich des Hungers
allgewaltige Not, sie kennet keine Gesetze.
Gnädiger Herr, da wart Ihr bekümmert; es schien Euch die Sache
gar bedenklich zu sein und rechtlich schwer zu entscheiden.
Denn es schien Euch hart, den guten Mann zu verdammen,
der sich hilfreich bewiesen; allein Ihr dachtet dagegen
auch des schmählichen Hungers. Und so berieft Ihr die Räte.
Leider war die Meinung der meisten dem Manne zum Nachteil;
Denn sie wünschten die Mahlzeit und dachten der Schlange zu helfen.
Doch Ihr sendetet Boten nach Reineken: alle die andern
sprachen gar manches und konnten die Sache zu Rechte nicht scheiden.
Reineke kam und hörte den Vortrag, Ihr legtet das Urteil
ihm in die Hände, und wie er es spräche, so sollt es geschehen.

Reineke sprach mit gutem Bedacht: Ich finde vor allem
nötig, den Ort zu besuchen, und seh‘ ich die Schlange gebunden,
wie der Bauer sie fand, so wird das Urteil sich geben.
Und man band die Schlange von neuem an selbiger Stätte,
in der Maße, wie sie der Bauer im Zaune gefunden.
Reineke sagte darauf: Hier ist nun jedes von beiden
wieder im vorigen Stand, und keines hat weder gewonnen,
noch verloren; jetzt zeigt sich das Recht, so scheint mir‘s, von selber.
Denn beliebt es dem Manne, so mag er die Schlange noch einmal
aus der Schlinge befrein; wo nicht, so lässt er siehängen,
frei, mit Ehren geht er die Straße nach seinen Geschäften.
Da sie untreu geworden, als sie die Wohltat empfangen,
hat der Mann nun billig die Wahl. Das scheint mit des Rechtes
wahrer Sinn; wer‘s besser versteht, der lass es uns hören.

Damals gefiel Euch das Urteil und Euren Räten zusammen;
Reineke wurde gepriesen, der Bauer dankt‘ Euch, und jeder
rühmte Reinekens Klugheit, ihn rühmte die Königin selber.
Vieles wurde gesprochen: im Kriege wären noch eher
Isegrim und Braun zu gebrauchen, man fürchte sie beide
weit und breit, sie fänden sich gern, wo alles verzehrt wird.
Groß und stark und kühn sei jeder, man könn‘ es nicht leugnen;
Doch im Rate fehle gar oft die nötige Klugheit:
Denn sie pflegen zu sehr auf ihre Stärke zu trotzen,
kommt man ins Feld und naht sich dem Werke, da hinkt es gewaltig.
Mutiger kann man nichts sehn, als sie zu Hause sich zeigen;
Draußen liegen sie gern im Hinterhalt. Setzt es denn einmal
tüchtige Schläge, so nimmt man sie mit, so gut als ein andrer.
Bären und Wölfe verderben das Land; es kümmert sie wenig,
wessen Haus die Flamme verzehrt, sie pflegen sich immer
an den Kohlen zu wärmen, und sie erbarmen sich keines,
wenn ihr Kropf sich nur füllt. Man schlürft die Eier hinunter,
lässt den Armen die Schalen und glaubt noch redlich zu teilen.
Reineke Fuchs mit seinem Geschlecht versteht sich dagegen
wohl auf Weisheit und Rat, und hat er nun etwas versehen,
gnädiger Herr, so ist er kein Stein. Doch wird Euch ein andrer
niemals besser beraten. Darum verzeiht ihm, ich bitte!

Da versetzte der König: Ich will es bedenken. Das Urteil
ward gesprochen, wie Ihr erzählt, es büßte die Schlange.
Doch von Grund aus bleibt er ein Schalk, wie sollt er sich bessern?
Macht man ein Bündnis mit ihm, so bleibt man am Ende betrogen;
Denn er dreht sich so listig heraus, wer ist ihm gewachsen?
Wolf und Bär und Kater, Kaninchen und Krähe, sie sind ihm
nicht behende genug, er bringt sie in Schaden und Schande.
Diesem behielt er ein Ohr, dem andern das Auge, das Leben
raubt‘ er dem dritten! Fürwahr, ich weiß nicht, wie Ihr dem Bösen
so zugunsten sprecht und seine Sache verteidigt.

Gnädiger Herr, versetzte die Äffin: ich kann es nicht bergen,
sein Geschlecht ist edel und groß, Ihr mögt es bedenken.

Da erhub sich der König, herauszutreten, es stunden
alle zusammen und warteten sein. Er sah in dem Kreise
viele von Reinekens nächsten Verwandten, sie waren gekommen,
ihren Vetter zu schützen, sie wären schwerlich zu nennen.
Und er sah das große Geschlecht, er sah auf der andern
Seite Reinekens Feinde: es schien der Hof sich zu teilen.

Da begann der König: So höre mich, Reineke! Kannst du
solchen Frevel entschuldigen, dass du mit Hilfe Bellynens
meinen frommen Lampe getötet? und dass Ihr Verwegnen
mir sein Haupt ins Ränzel gesteckt, als wären es Briefe?
Mich zu höhnen, tatet ihr das! ich habe den einen
schon bestraft, es büßte Bellyn; erwarte das gleiche.

Weh mir! sagte Reineke drauf: o wär ich gestorben!
Höret mich an, und wie es sich findet, so mag es geschehen:
Bin ich schuldig, so tötet mich gleich, ich werde doch nimmer
aus der Not und Sorge mich retten, ich bleibe verloren.
Denn der Verräter Bellyn, er unterschlug mir die größten
Schätze, kein Sterblicher hat dergleichen jemals gesehen.
Ach, sie kosten Lampen das Leben! Ich hatte sie beiden
anvertraut, nun raubte Bellyn die köstlichen Sachen.
Ließen sie sich doch wieder erforschen! Allein ich befürchte,
niemand findet sie mehr, sie bleiben auf immer verloren.

Aber die Äffin versetzte darauf: Wer wollte verzweifeln?
Sind sie nur über der Erde, so ist noch Hoffnung zu schöpfen.
Früh und späte wollen wir gehn und Laien und Pfaffen
emsig fragen; doch zeiget uns an, wie waren die Schätze?

Reineke sagte: sie waren so köstlich, wir finden sie nimmer;
wer sie besitzt, verwahrt sie gewiss. Wie wird sich darüber
nicht Frau Ermelyn quälen! sie wird mir‘s niemals verzeihen.
Denn sie missriet mir, den beiden das köstliche Kleinod zu geben.
Nun erfindet man Lügen auf mich und will mich verklagen!
Doch ich verfechte mein Recht, erwarte das Urteil, und werd ich
losgesprochen, so reis‘ ich umher durch Länder und Reiche,
suche die Schätze zu schaffen, und sollt ich mein Leben verlieren.

Reineke Fuchs ► Zehnter Gesang