Die schöne Dorothee
Das war der Schreiber beim Hohen Rat
Zu Osnabrück, o weh!
Der tief den Blick ins Auge tat
Der schönen Dorothee.
Er war nicht hübsch, er war nicht jung;
Doch seine Schnörkel hatten Schwung;
Er legte in sein Federspiel
Sein Hoffen und sein Lebensziel,
Sein heimlich Sehnen und sein Weh
Um seine schöne Dorothee.
Und kam das liebe, junge Blut
Vorbei mit leichtem Sinn;
Dann lupft der Schreiber seinen Hut
Als wär‘s die Kaiserin.
Und nimmer war’n so wundervoll
Die Schnörkel noch im Protokoll;
Es sah das ganze Schriftstück aus,
Als wär ein einziger Blumenstrauß,
Ein schwarz Bukett auf weißem Schnee
Für seine schöne Dorothee.
Und Sonntags sagt dem Tintenfass
Und Gänsekiel er ade
Und schritt mit Augen tränennass,
Ins Feld und durch den Klee;
Und suchte so am Wiesenrand,
Bis er der Blättlein viere fand
An einem langen grünen Stiel
Zu Hoffenstrost und Minnespiel,
Ein Gruß vom Glück im grünen Klee
An seine schöne Dorothee.
Da ging ein grauer Herbst ins Land,
Verblüht war längst der Klee
Und mit dem Jäger durchgebrannt
Die schöne Dorothee.
Verzweifelnd, auch an seinem Glück,
Das Schreiberlein zu Osnabrück,
Soff in des Rates hohem Haus
Aus Gram die ganze Tinte aus,
Die es so fein verschnörkelt eh‘
Zum Ruhm der schönen Dorothee ...
Ich aber hörte dieses Stück
In einer Nacht im Mai,
Im „Wilden Schwein“ zu Osnabrück
Und dacht mir so dabei:
O Jüngling, o Jüngling,
So‘n Mädel ist ein eigen Ding.
Wenn du zu zag das Hütchen lupfst
Und einsam gehst und Blümchen zupfst;
Dann geht dir nächstens durch den Klee,
Bei Gott, die schöne Dorothee! ...
Rudolf Presber