Der Wettstreit
Das Ideal geflügelt, in duftigem Gewande mit langem Schleier, Perlenkrone, Blumen im Haar, Lilienstab in der Hand. Die Wirklichkeit in hausfraulicher Küchentracht mit Schürze, Häubchen, Schlüsselbund und Kochlöffel.
Ideal:
Von meinem goldnen Wolkentron
komm ich soeben hergeflohn;
Ich hörte, dass auf dieser Erde
ein neues Haus begründet werde.
Ich bin – ihr seht’s – das Ideal.
Mit meinem lichten Götterstrahl
muss ich das Leben erst verklären,
soll Freuden es und Glück gewähren.
Drum hebe mich, du junges Paar,
fortan auf deinem Hausaltar,
getreu und eifrig diene mir
und Segen viel verheiß ich dir!
Wirklichkeit:
Ei, mit Verlaub, geehrte Fee,
dass ich mich kühnlich untersteh,
hochdero Spruch zu unterbrechen
und auch ein Wörtlein mitzusprechen.
Ich bin die schlichte Wirklichkeit
und jeder weiß, dass allezeit,
wo nur ein Haus wird aufgeführt,
die erste Stelle mir gebührt.
Ideal:
Fürwahr, das ist ein Scherz von dir!
Willst du dich messen dann mit mir?
Soweit der Strahl der Sonne fällt,
soweit die Luft die Schwingen schlägt,
soweit der Wind die Wolke trägt
beherrsch ich, was da ist und war,
was sichtbar ist und unsichtbar.
Was Kunst und Wissen Schönes schafft,
geschieht durch meine Wunderkraft.
Was selig Herz und Geist erhebt,
in meinen lichten Höhen lebt.
Wo ich verweile, weilt das Glück,
vor mir weicht Not und Leid zurück,
weil ich den allerärmsten Mann
zum reichsten König machen kann.
Drum preise mich des Menschen Sinn
als höchste Weltbeglückerin.
Wirklichkeit:
Das hört sich zwar recht artig an,
doch ist ein kleiner Fehler dran.
Der Mensch hat nicht nur Herz und Geist,
auch einen Magen hat er meist.
Und dass sein Wohlsein frisch gedeiht,
schafft nur die schlichte Wirklichkeit.
Sie baut das Haus, sie wärmt den Herd,
sie deckt den Tisch, erwirbt und nährt.
Drum diene ihr mit klugem Sinn
der Mensch als seiner Herrscherin.
Ich will euch zeigen, was passiert,
wo nur das Ideal regiert,
wo’s für hausbackne Tagespflicht
an Fleiß und Zeit und Lust gebricht.
Dort hat man, eh man sich‘s versah,
die schönste Lotterwirtschaft da.
Am Nähtisch steht der Zuckertopf,
die Schere hängt am Bürstenknopf,
beim Stiefelknecht der Spitzenhut
vertraulich unterm Bette ruht,
die Möbel sind mit Staub besät
dick wie das fettste Rübenbeet,
auf Teppich, Sofa und Klavier
hält Hund und Katze Tanzpläsier.
Die junge Hausfrau kümmert‘s nicht,
sie liest das neuste Mondgedicht,
sie spielt sich eine Sinfonie,
sie malt und singt als Kunstgenie.
Derweilen brennt der Braten drauss‘,
die Katze leckt die Sahne aus,
der Pudel stiehlt vom Küchenbrett
sich dankbar Beefsteak und Kotelett.
Und kommt der Gatte hungrig heim,
zitiert sie ihm den feinsten Reim,
spielt ihm den schönsten Lauf im Nu,
sein Magen knurrt den Bass dazu.
Er wütet, wettert, grollt und greint,
sie streitet, wettert, schmollt und weint,
die Liebe wankt, der Frieden flieht,
das ist das Ende von dem Lied.
So sieht sie, Mamsell Ideal,
dass all ihr Duft und Mondenstrahl,
Poetenkram und Künstlerpracht
die Menschen doch nicht glücklich macht.
Ideal:
Du hast ein düsteres Bild gemalt.
Glaubst du, das jenes heller strahlt,
daran ich zeige, wie es geht,
wo deine Herrschaft nur besteht?
Dort läuft das Leben schaal und leer
im öden Staub des Alltags her,
man sorgt und müht sich Tag für Tag
von Morgengrau bis Abendschlag,
man sucht und rafft und häuft Gewinn,
doch fehlt der rechte Segen drin,
in solches Daseins Hast und Eil
verliert der Mensch sein bestes Teil.
Das höchste im Interessenkreis
wird Mahlzeit und Kartoffelpreis,
der Dienstmarkt Putz und Eigensinn,
das neue Kleid der Nachbarin.
Der Sinn wird stumpf und dumpf und klein,
die Seele büßt die Schnellkraft ein.
Nicht sucht man nach des Tages Last
an edler Kunst Genuss und Rast.
Und schöpft aus ihrem reinen Licht
zur Arbeit neue Zuversicht -
was lebenswert das Leben macht,
wird hier als Träumerei verlacht.
Und weil man nicht Begeisterung kennt,
wo Herz mit Herz gemeinsam brennt,
wo Gleichgefühl in Leid und Lust
macht innere Eintracht froh bewusst,
so lockert bald der Ehe Band,
ein jeder lebt auf eigene Hand,
im Wirtshaus sucht der Mann sein Teil,
die Frau in Klatsch und Putz ihr Heil.
Im Hause sprießt Unsegens Keim,
es ist ein Haus und nicht ein Heim;
Die guten Geister fliehen weit,
Missmut und Hohlheit macht sich breit.
Kein Mensch tritt frohen Mutes ein
und denkt: „Hier lockt es, Freund zu sein.“
Den Gast treibt’s von der Schwelle fort,
er spricht: Dies ist kein guter Ort.“
Und die es selbst soweit gebracht,
wie haben sie sich arm gemacht!
Ihr Haus und Herz steht freudenleer,
sie fühlen‘s, - wissen nicht woher.
Sie keuchen hin des Daseins Pfad,
gleichgültig, wann das Ende naht,
sie haben sich geplagt, gestrebt,
vergehn – und haben nicht gelebt.
Sie lassen in der Menschheit Flur
auch nicht die kleinste Segensspur.
So seht ihr, dass kein Glück gedeiht
im Dienst der platten Wirklichkeit.
Und glücklich soll dies Paar noch sein?
Wirklichkeit:
Da fällt als einziger Rat mir ein -
Ideal:
Dass wir in Eintracht, Schwestern gleich -
Wirklichkeit:
Uns teilen dieses Hauses Reich.
(sie reichen sich die Hände)
So soll es sein zum guten Ende!
In meinem Dienst die rüstigen Hände,
der kluge Sinn, die feste Kraft
erbauen des Hauses Grund und Schaft.
Ideal:
Und nach der Arbeit allezeit
sei mir die Muße froh geweiht,
dass sich in meiner reinen Sphäre
vom Tagesstaub die Seele kläre
und trinke frische Nahrungsflut
aus meiner ewigen Lebensglut.
Beide zusammen:
So muss das junge Heim gedeihn
an Mark und Wurzel stark und rein,
des Rechten Heimstatt allerwegen,
für sich und andre Lust und Segen,
gefestigt gegen Leid und Spott
durch innere Kraft. – Das walte Gott!
A. Burchardt-Nienstein