Der Ernst des Lebens

Die Tante sprach zur Nichte: „Liebes Kind!
Nimm dich in acht. Ich sehe es mit Bangen,
du bist nicht klüger, als die andern sind,
auf einmal hat dich einer eingefangen.

Hübsch bist du auch und es wird heutzutag
aus Modegründen vor den Männerblicken -
worüber ich mich immer ärgern mag -
viel mehr enthüllt, als je sich dürfte schicken.

So kommt vielleicht einmal ein solcher Tropf,
dem deine Waden in die Augen stechen
und der verwirrt durch deinen Bubikopf;
du kannst dann Kinder wiegen, Knödel kochen,

die Wäsche flicken und noch andres mehr.
Und ist vorbei der Liebesrausch euch beiden,
so fällt auf einmal euch die Ehe schwer,
ihr fangt zu zanken an und lasst euch scheiden.

Du ahnst nicht, was du dann erst kennen lernst,
dein Übermut passt nicht zu der Geschichte,
du bist zu jung und nimmst zu wenig ernst
die Ehefrage, meine liebe Nichte.“

„Gefahren sind für mich kein Hindernis,
nimm mir nicht übel all mein tolles Treiben,“
sprach diese; „Heiraten ist ernst, gewiss!
Doch noch viel ernster ist – das Sitzenbleiben.“

Josef Fr. Ofner