Gedanken über das Hochzeitspaar
Sagt, wie nennt man einen Räuber, der am hellen Tageslicht,
Sich den besten Schatz zu holen, eines Hauses Frieden bricht,
Und man sieht ihn gerne kommen, lässt ihn scheiden unbeschrien,
Ja mit tausend Segenswünschen darf er seine Straße ziehn?
Sagt, wie heißt das Opferlämmlein mit dem grünen Kranz ums Haupt,
Dass man aus dem trauten Stalle, von der Mutter Busen raubt,
Und doch jammerts keine Seele, neidisch sehn’s die Mägdlein an.
Und es geht getrosten Mutes zum Altares seine Bahn?
Sagt, wer sind die armen Alten, denen Kopf und Herzen schwer,
Denen Haus und Hof verödet, denen Kist und Kasten leer.
Aber niemand fühlt Erbarmen mit dem tiefgebeugten Paar,
Und nur Glück- und Segenswünsche bringt man ihnen lächelnd dar?
Sagt, wie heißt die Tafelrunde, dran sich jung und alt erfreut,
Wo auf dunkle Zukunftspfade Witz und Frohsinn Blumen streut;
Selbst der höchste Gast auf Erden hat ein Stündchen dran verweilt
Und der Wirte stille Sorgen und der Gäste Luft geteilt? -
Seht, da sitzt der kecke Räuber und er nennt sich Bräutigam,
Seht die Braut an seinem Herzen als beglücktes Opferlamm,
Seht zur Linken und zur Rechten uns betrübtes Elternpaar,
Seht am heitern Hochzeitstische unserer Gäste bunte Schar!
Nun so geh in Gottes Namen, du geliebter Räuber, du!
Sanftes Schäflein, zeuch im Frieden deinem stillen Tale zu!
Tröste Gott uns arme Alte, ist’s ja seine Fügung doch!
Segne Gott euch, werte Gäste; klinget an und lebet hoch!
Karl Gerok