Eine Stunde vor der Hochzeit
(Auf der Bühne steht ein Tisch (wenn möglich ein Schreibtisch) mit einer Kassette, in der sich die für den Vortrag erforderlichen Requisiten befinden. Neben dem Tisch ein Kamin, in welchem die Gegenstände aus der Kassette hineingetan werden können. Der Vortragende ist hochzeitsgemäß feierlich gekleidet.)
In einer Stunde – geh‘ ich zum Ehebund,
In einer Stunde – schlägt meine letzte Stund‘.
In einer Stunde – kommt die Marie – ich nehme sie -
Schön ist sie nicht – doch die Marie, die hat „Marie“.
Die letzte Stunde gilt der Vergangenheit -
Sie gibt mir Kunde – von manch geliebter Maid.
In dieses Kästchen – will ich zum letzten Male schau‘n -
Es birgt Erinnerungen an all die süßen Frau’n. -
Und dann mit euch ins Feuer miteinand‘ -
Kommt dann die Alte, seid ihr „durchgebrannt“.
(Der vortragende nimmt nun die durch Nummern angedeuteten Requisiten aus der Kassette und legt sie auf den Kamin. Das Requisiten-Verzeichnis siehe am Schluß.)
Dies Zöpfchen (1) schnitt ich ab eins von Rebekkchen,
Die dann mit Bubikopf bei mir gehockt;
Frohlockend gab mir Lotte einst dies Löckchen (2),
Mit dieser Locke hat sie mich gelockt.
Die letzte Zigarre (3) von Irene,
Dann ging sie aus – sie (auf die Zigarre zeigend) auch – mir blieb der Rauch.
Die letzte Rose (4) schickte mir die Lene - (auf die Rose zeigend)
Sie ist verduftet – und die Lene auch.
Hier ein Gedicht (5) von Emmi – schlecht zu lesen -
Sie selbst war ein Gedicht, die süße Maus!
Die Lampe (6) für meinen Nachttisch von Theresen -
So bald sie kam, löscht‘ sie die Lampe aus.
Dies Autopüppchen (7) nahm ich früher immer,
Von Alma stammt’s – wo mag das Auto sein?
Von Betty `ne Figur (8) fürs Herrenzimmer,
Da passt sehr gut so’n Frauenzimmer rein.
Von Adelheit (9), sie war `ne Baronesse -
Ihr stolzes Wappen stickte sie voll Freud‘ -
Heut‘ ist sie arm, `s hat niemand mehr Int’resse -
Was nützt der Adelheit der Adel heut`?
Dies Kissen (10) gab Sophie, das süße Kindchen -
„Nur `n Viertelstündchen“ ruhten wir geschwind`,
Und war’s mal länger als ein Viertelstündchen,
Dann sprach sie: „Kissen ist ja keine Sünd`.“
Den Schleier (11) konnt` beim Abschiedskuss ich fassen
Von Melanie – er ward zum Trauerflor -
Den Handschuh (12) hat einst Hannchen dagelassen,
Die Hand gab sie `nem andern – das kommt vor.
Von Ursula ein altes Angedenken (13) -
`s war `ne Krawatte drin, die längst passe`-
Doch heut‘ noch muss an Ursula ich denken,
Wenn ich voll Weh die alte Schachtel seh`.
Martha war häuslich – nähte, wusch und kochte -
Hier ihr Menu (14), sie selbst war das Dessert -
Und als sie nicht mehr kochte, was ich mochte,
Da wusste ich, sie mochte mich nicht mehr.
Bertha war immer strickend zu erblicken -
„Ich bleibe ewig“, sprach sie liebesfroh -
Drei Dutzend Socken wollte sie mir stricken -
So weit kam sie (15), jetzt strickt sie anderswo.
Hier ist ein Spitzentüchlein (16) von Luischen -
(zeigt das zusammengefaltete Tüchlein)
War sie erregt, biss sie hinein voll Kraft -
Bei jedem Küsschen biss sie ab ein bisschen -
(das Tüchlein auseinanderfaltend)
Hier ist der Rest von ihrer Leidenschaft.
Aus diesem Glas (17) hat Ruth sich Mut getrunken,
Vor jedem Kuss da trank sie auf mein Wohl.
Nun ist sie alt, die Liebe ist versunken -
Und aus der Flasche sauft sie `n Alkohol.
Hier war`n Pralin’n (18), die Laura mir spendierte,
Als ich einst, heiser, sie erhitzt umfing -
Als später Inge ich damit kurierte,
Ernannte Inge mich zum „Doktor Ing“. -
Schön Ännchen sah ich oftmals zu mir wandern
Einst hat’s geklopft – ihr Mann! – sie lief entsetzt -
Ließ Hut (19) und Schirm (20) bei mir – floh zu `nem andern -
Und der behütet und beschirmt sie jetzt.
Frida war `ne Geschied`ne – nie zufrieden -
Schrieb Abschied bald (21) – ging neu ins Ehejoch -
Schon viermal ist sie jetzt dahin-„geschieden“
Und trotzdem lebt sie – mit `nem Fünften – noch.
Klein Elschen war sehr jung, ihr war sehr bange -
Gab mir `n Geburtsschein (22), dass ich`s Alter kenn`-
War noch nicht mündig – sie blieb ziemlich lange -
Und als sie fortging war sie majorenn. (volljährig)
Die Trude war vergesslich - `s klingt vermessen -
Vergaß selbst dies (23) und das (24), `s ist sonderbar -
Und eines Tags hat sie sich selbst vergessen -
Sie kam erst zu sich, als sie von mir war.
Die Paula schminkte Wangen, Ohren, Lippen,
Ihr Antlitz war ganz bunt von dem Geschmier`-
Dies‘ Tuch (25) durft‘ ich mal aufs Gesicht ihr tippen -
Da hatte ich ein schönes Bild von ihr.
Dies Tagebuch (26) hab` Ellen ich genommen -
Darin notiert sie ihre Freunde sich.
(darin blätternd)
Bis fünfundsiebzig ist sie nur gekommen -
Dann ließ sie ihr Gedächtnis wohl im Stich.
Elfriede schickte Bücher, `ne Geschichte
Von Bleibetreu (27) erst „Bleib‘ treu“ stand auf dem Buch,
Zum Abschied schickte sie mir dann Gedichte
Von Wildenbruch (28) – das hieß, sie will den Bruch.
Den Strumpf (29) ließ Olly einst am Strande liegen -
Ach, in den Strumpf kam einst ihr Bein hinein -
Und dieses Bein war mir zu Kopf gestiegen -
Und ich verlor den Kopf dann durch das Bein.
Hier `n Höschen (30), da ist Rös`chen drin gesessen -
Sie war sehr leicht erregt, ist mir noch klar,
Und ich, ich war erregter noch indessen,
Wenn Rös`chen so ganz aus dem H - äuschen war.
Und nun die Bilder (31), all die alte Flammen -
Von mir vereint – nun gehn sie ihren Lauf
(legt das Bündel in den Kamin und zündet anscheinend Feuer an)
Sanft ruhe eure Asche nun beisammen,
Ihr alten Flammen – geht in Flammen auf!
Lebt ewig wohl – (nach hinten zeigend) die Alte rückt heran -
Und ich – ein Freiersmann, jedoch kein freier,
Zum letzten Mal geht ihr für mich durchs Feuer -
Ich lege meiner Hand die Fessel an.
(Holt einen Trauring aus der Westentasche und steck ihn an.)
Schlussgesang
Auf in den Kampf – jetzt küß ich die Marie
Und fehlt ihr auch das Feuer -
Die „Asche“, die hat sie.
(Marschiert nach den Klängen des Nachspiels ab. Es erhöht die Wirkung sehr, wenn nun der Vortragende, seine festlich gekleidete und komisch wirkende „Alte“ am Arm, nochmals erscheint, um sich im Verein mit ihr dankend zu verbeugen.)
Requisiten-Verzeichnis:
(1) Schwarzes Zöpfchen
(2) Blonde Locke
(3) Halb aufgerauchte Zigarre
(4) Welke Rose
(5) Großer rosa Briefbogen mit schlecht geschriebenem , verkleckstem Gedicht. Oben ist deutlich zu lesen: „An dich!“ unten steht: „Deine Emmi.“
(6) Kleine Nachttischlampe
(7) Autopuppe (Micky-Maus oder dergleichen)
(8) Kleine Figur, antike nackte Frau darstellend
(9) Brieftasche mit gesticktem Monogramm (Krone und Wappen)
(10) Kissen mit Aufschrift: „Nur ein Viertelstündchen.“
(11) Kleiner, schwarzer Schleier
(12) Damenhandschuh
(13) Kleine alte Krawattenschachtel
(14) Kochbuch
(15) Eine halbfertige gestrickte Socke, mit der noch darin befindlichen Stricknadeln und Garnknäuel
(16) Rest eines Spitzentüchleins (man sieht beim auseinanderfalten deutlich die Spuren der Bisse)
(17) Likörglas
(18) Pralinenschachtel mit einem letzten Praliné
(19) Damenhut
(20) Damenschirm
(21) Brief, mit schwarzer Schnur umwickelt
(22) Geburtsschein
(23) Damenbluse
(24) Büstenhalter
(25) Weißes Tuch, auf welchem sich anscheinend das geschminkte Gesicht – bunt und grotesk – abgezeichnet hat
(26) Tagebuch
(27) Buch mit Aufschrift „Bleibtreu“
(28) Hübsches Buch mit Goldschnitt Aufschrift „Wildenbruch“
(29) Damenstrumpf
(30) Damenschlüpfer
(31) Ein mit rosa Bändchen und Schleife schön verschnürtes Bündel alter Damenphotographien
Otto Reutter