Heuschnupfen-Ballade


In Helgoland auf der Lästerbrücke
Stand Hans Lücke;
Schaute mondbeschienen
Mit bekümmerten Mienen nach den Dünen,
Schaute ins Wasser und ward immer blasser.
Und er hebt das Gesicht,
Weil er niesen muss und spricht:
Habe ich nicht trotz Wasser und Salz
Kitzeln im Hals?
Sind mir nicht die Augen verschwollen?
Ist nicht die Nase so dick wie ein Knollen?
Und er atmet tief auf: Schnupfen, lauf!
Nase, zufließe! Niese!
Zuckt, ihr Augen, krampf dich Leib:
Heuschnupfen ist kein Zeitvertreib.
Hatschi, Tschian! Hat das nun ein Sinn,
Dass die Pollen uns quälen sollen?
Dass wir dem Blühen müssen entfliehen?
Ist das nicht gemein? Muss das sein?
Ist man denn nur ein Schleimsack? Hatz!
Zerspring! Zerplatz!
Es klingt so laut,
Als wenn man aufn Kessel haut.

Zur selben Stunde wie Hans Lücke,
Steht auf der Brücke Käthe Munde.
Sie fühlt sich nicht zum Sagen zerschlagen.
Auch ihre Schleimhäute
Sind Heuschnupfens Beute.
Auch ihre Nase ist dicke,
Genau wie bei Lücke.
Und jetzt – hatschi! – niest sie.
Und ein Wasserfall
Holdrio! Juchhe! Und das Taschentuch
Hat nicht Raum genug, o weh!
Wenn sie doch nur hätte eine Serviette!
Da fühlt sie plötzlich ein leises Tupfen:
„Mein Fräulein, Sie haben auch Heuschnupfen?
Hier, bitte, nehmen sie meines:
Ich habe noch ein reines.“
Und er bietet ihr als galanter Mann
Sein Schnupftuch an.
Sie bedankt sich und nimmt‘s. Aber dann kimmt’s:
Ein Duett auf der Brücke
Von Fräulein Munde und Herrn Lücke.
Man japst und prustet, man niest und hustet.
Ein Trompetengeschmetter
Wie ein Donnerwetter, von solcher Stärke,
Dass die Felsen ringsum
Erzittern – bum – bum! -

Man glaubt nicht, wie das zwei Menschen verbindet,
Wenn ein Heuschnupfen sich zum anderen findet.
Hoch schlagen im Glanz des Mondenscheins
Zwei katarrhalische Flammen,
Und ihre Herzen werden eins,
Und die Schnupfen fließen zusammen.
Und während die Woge ans Ufer prallt,
Wo Baum und Strauch nicht wachsen,
Singt: „Wer hat dich, du schöner Wald“
Ein Männerchor aus Sachsen.

Das war vor etwa zwanzig Jahren.
Jetzt kommt dahergefahren
Bereits der Sohn der beiden.
Denn er hat auch ihr Leiden.
Und ist schon groß
Und wird den Heuschnupfen nicht los.
Und steht auf der Brücke,
Genau wie Herr Lücke,
Mit einem verschnupften Seitenstücke.
Man nennt das – hatschi! – Vererbungstheorie,
Denn wenn zwei Schnupfen eine Ehe schließen,
Muss das Kind niesen.
Und ob der Mensch auch schließlich sterbt:
Heuschnupfen bleibt und wird vererbt.


Paul Schüler