Der Drachentöter


Kennt ihr die Mär von Frommhold Just,
Dem Schreiber von Grünheide,
Der nicht mehr ein und aus gewusst
Vor Herzweh, Lieb und Leide?
Mit Tintenwisch und Gänsekiel
Kam er zeitlebens nicht ans Ziel.
Und doch war all sein Sinnen,
Des Ratsherrn blondbezopftes Kind
Als Braut sich zu gewinnen.

Da hat in einer Sonnwendnacht
Ein groß Getön begonnen,
Der Wächter selbst ist aufgewacht;
Es kam vom Simonsbronnen.
Ein grauslich Basiliskenvieh
Saß in der Tiefe dort und schrie.
Und wer den Satansdrachen
Nur ansah, fiel zu Stein erstarrt,
Pardauz, in seinen Rachen!

O weh, da hub ein Klagen an,
Wie lag die Stadt in Nöten!
Vergebens ritt manch Held heran,
Das Ungetüm zu töten.
Doch einer dachte: „Schicksalswink!
Dort unten liegt mein Ehering.“
Und volle sieben Nächte
Hat Frommhold Just im Bett sinniert,
Wie er das Werk vollbrächte!

Er nahm nicht Schwert noch Bratspieß mit,
Er lieh sich einen Spiegel.
Das Untier sank auf hundert Schritt
Schon wie zehntausend Igel.
Herr Fromhold schimpfte: „Das ist krass!“
Doch schob er sacht sein Spiegelglas
Quer ob des Brunnens Breite  -
Ein Klirr, ein Ruck, da lag es schon,
Und schnell sprang er beiseite.

Erst war es eine Weile still,
Dann Pusten, Schnauben, Dröhnen.
Es ward zu wildem Angstgebrüll
Und schauerlichem Stöhnen.
Das Biest bekam ein solches Grauen,
Sich selbst im Spiegel anzuschauen,
Dass es die Zähne bleckte,
Noch einmal vor sich selbst erschrak
Und kummervoll verreckte. -

So ward der Schreiber Frommhold Just
Grünheides Held und Retter,
Der Ratsherr zog ihn an die Brust
Und nannte ihn gleich Herr Vetter.
Die Glocke sang Halleluja,
Die Blondbezopfte sagte ja
Voll Schämen und Erstaunen. -
Dann zupfte sie mit eigner Hand
Fürs Brautbett sich die Daunen.

Wie sacht dann Jahr für Jahr verging
Dem Basiliskenzwinger,
Da dreht er oft den güldnen Ring,
Den Ring an seinem Finger.
„O, glückte mir der Spaß nochmal!
Ich hab mein liebes Ehgemahl
Mit Spiegeln rings umgeben,
Doch guckt sie auch in jeden rein:
Der Drache bleibt am Leben!“


Georg Martell