Bürgermeisterwahl


Der Kaiser von Utopien gab einst seine Absicht kund, die Schildbürger zu besuchen, und schickte Gesandte zu ihnen ab, sie von seiner Absicht zu benachrichtigen. Die Schildbürger erschraken als sie dies vernahmen, denn sie hatten keinen Schultheißen, da der bisherige zu solchem Amte untauglich erfunden war. Ohne einen Schultheiß aber, das sahen sie bei all ihrer Narrheit ein, ging es nicht ab, wenn der Kaiser sie besuchte. Sie kamen deshalb überein, vorher einen neuen Schultheiß zu wählen.
Und zwar sollte der Schultheiß werden, so beschlossen sie auf dem Rathause, der den besten Reim vorbringen würde, denn der Kaiser hatte verlangt, dass man ihm auf seine erste Anrede so antworte, dass Gruß und Gegengruß sich reime. Nun machte sich gar manche Frau Hoffnung, Frau Schultheiß zu werden, und setzte alles daran, ihren Mann zu dieser Würde zu erheben.
Am meisten Mühe aber gab sich die Kathrine, die Frau des Sauhirten. „Ach, lieber Mann“, sagte sie zu ihrem Gemahl, „lass dir keine grauen Haare wachsen. Was willst du mir geben, dann lehre ich dich einen Reim, dass du ganz gewiss Schultheiß wirst?“ – „Wenn du das fertig bringst“, antwortete der Sauhirt, „dass ich Schultheiß werde, so kaufe ich dir einen schönen neuen Pelz.“ Die Frau, die sich in ihrer Einbildung schon als Frau Schultheiß fühlte, war damit zufrieden und fing deshalb an, ihren Mann einen schönen Reim zu lehren, und zwar folgenden:
„Ihr lieben Herrn, ich tret‘ herein,
meine Hausfrau heißt Kathrein,
sie ist sehr schön und fein
und trinkt gern guten kühlen Wein.“
Diesen Reim sprach die Schildbürgerin, die sich nicht wenig auf ihre Dichtkunst zu Gute tat, in der Nacht ihrem Ehegemahl neunundneunzig Male vor und er ihr denselben so oft nach, bis er meinte, dass er ihn wohl endlich im Kopfe hätte.
Als nun der Tag erschien, an dem zur Wahl des Schultheißen geschritten werden sollte, da kamen sie alle aufs Rathaus und mussten der Reihe nach vor den Ratsherren ihre Reime hersagen. Da konnte man Wunder hören, welch zierliche, wohlgeschlossenen Reime von ihnen hervorgebracht wurden. Leider sind sie uns nicht alle aufbewahrt, aber einige sind noch vorhanden. Der fünfte reimte also:
„Ich bin der Meister Hildebrand
und lehne meine Spieß an die - Mauer!“
Der zehnte so:
„Ihr Herren, ich möchte gern Schultheiß sein,
deshalb bin ich zu Euch kommen hierher.“
Freilich war es schade, dass ihnen jedesmal das rechte Schlagwort beim Hersagen ausging, weil sie ein so schwaches Gedächtnis hatten. Darüber entstand dann ein großes Gelächter bei den Ratsherren. Endlich kam die Reihe an den Sauhirten, der ihn höchsten Ängsten gewesen war, dass etwa ein anderer seinen Reim vortrüge. Jetzt trat er hervor und sprach:
„Ihr lieben Herrn, ich tret‘ hierher,
meine Hausfrau, die heißt Katharein,
sie hat einen losen Mund,
doch sonst fühlt sie sich ganz wohl.“
„Das ist doch etwas Ordentliches!“, riefen die Ratsherren mit einer Stimme. Und da man Umfrage hielt, fiel das Urteil auf den Sauhirten, der ward einstellig zum Schultheiß gewählt und angenommen. Denn sie waren sämtlich der Meinung, der würde dem Kaiser wohl reimweise antworten und gute Gesellschaft leisten können. Zudem sei er ein Handwerksmann, während die andern sämtlich Bauern wären.
Also nahm der Sauhirt diese Ehre gern an und erfuhr jetzt, wie weit Glück und Unglück voneinander sind, nämlich nur so weit als Tag und Nacht. Denn der die vergangene Nacht noch Sauhirt gewesen war, war jetzt ein gewaltiger Schultheiß zu Schilda geworden.