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Der grosse Empfang
Als die Schildbürger erfuhren, dass der Kaiser schon auf dem Wege zu ihnen war, berieten sie eiligst unter Vorsitz des neuen Schultheißen, wie sie ihn würdig empfangen sollten. Da es sich zunächst darum handelte, dass man ihm reimweise antworten sollte, wie er verlangt hatte, so wurde beschlossen, der Schultheiß sollte ihn zuerst anreden und mit den Worten: „Seid uns willkommen!“, empfangen. Dann würde der Kaiser antworten müssen: „Und du mir auch!“ Wenn das geschähe, hätten sie schon gewonnen, denn der Schultheiß müsste darauf sprechen: „Der Witzigste unter uns ist ein Gauch.“ Das würde sich wohl reimen. Über die Frage, wie man dem Kaiser entgegen ziehen sollte, gingen die Ansichten auseinander.
Der Kaiser hatte nämlich befohlen, man sollte ihm halb zu Ross und halb zu Fuß entgegenkommen. Einige meinten daher, man sollte zwei Haufen bilden, der eine sollte reiten, der andere zu Fuß gehen, je ein Reiter und ein Fußgänger in einem Glied. Andere meinten, es sollte ein jeder den einen Fuß im Steigbügel haben und mit dem andern auf dem Boden gehen, das wäre ja auch halb gegangen und halb geritten. Wieder andere waren der Meinung, man sollte dem Kaiser auf hölzernen Pferden entgegenziehen, denn man pflege doch im Sprichwort zu sagen: „Steckenreiten ist halb gegangen“; zudem seien solche Pferde auch fertiger, hurtiger, musterhafter und dazu bald gezäumt und gestriegelt.
Dieser letzten Meinung stimmten alle zu, und es ward beschlossen, dass sich jeder mit einem solchen Ross versehen sollte. Dies geschah denn auch, denn es war keiner so arm, dass er sich nicht beim Schreiner ein weißes, graues, braunes, schwarzes, rotes oder gesprenkeltes Pferd hätte anfertigen lassen können. Diese tummelten sie und richteten sie meisterlich ab.
Als nun der Tag herbeikam, wo der Kaiser mit seinem Gefolge heranrückte, sprengten ihm die Schildbürger mit ihren Steckenpferden entgegen. Wie der Schultheiß des Kaisers ansichtig wurde, sprang er im Eifer von seinem Gaul auf einen Dunghaufen und band sein hölzernes Rösslein vorsichtig an einen daneben stehenden Baum. Und weil er dazu beide Hände gebrauchte, nahm er seinen Hut zwischen die Zähne, behielt ihn auch darin, nachdem das Steckenpferd angebunden war, und murmelte zwischen den Zähnen: „Nun seid uns willkommen auf unserem Grund und Boden, fester Junker Kaiser!“ Der Kaiser merkte sofort, wes Geistes Kinder die Schildbürger waren, reichte dem Schultheißen die Rechte und sagte: „Hab Dank, mein lieber Schultheiß! - Und du auch!“
Da sollte nun der Schultheiß reimweise antworten, aber er schwieg, um sich nicht zu verschnappen. Schnell besann sich sein Nebenmann und platzte endlich heraus mit den Worten: „Der Schultheiß ist ein rechter Narr!“ Denn es war doch beschlossen, man sollte antworten: „Der Witzigste unter uns ist ein Gauch.“ So dachte dieser: Gauch und Narr sei dasselbe und der Witzigste sei eben der Schultheiß selber.
Auf diese Weise wurde der Kaiser empfangen, und als er noch zu guter Letzt den Schultheiß lächelnd fragte, weshalb er auf dem Dunghaufen stände, ward ihm die Antwort: „Ach Herr, ich armer Teufel bin ja nicht wert, dass mich der Erdboden vor Euch trägt.“ Hierauf führten sie den Kaiser durch ihr Städtlein, zeigten ihm ihre Dunghaufen, geleiteten ihn ihr berühmtes Rathaus und baten ihn, an dem frisch gedeckten Tisch Platz zu nehmen, und bald fing man an aufzutragen.
Fürs Erste war eine Schüssel voll Karpfen aufgesetzt; die waren in Erbsen oder Mus gekocht und zu einem Brei gerührt; dann eine zweite Platte voll Karpfen, die waren auf eine andere Art zubereitet, nämlich mit Brühe. Nach den Fischen, unter denen auch etliche am Spieße gebraten waren, brachte man einen Brei. Und als die an dem andern Tisch noch nicht fertig waren, sagte der Schultheiß: „Fester Junker Kaiser, Ihr dürfte nicht auf sie warten, denn
„Es steht geschrieben,
sechs oder sieben
sollen nicht harren
auf einen Narren,
sondern essen
und des Narren vergessen.“
Das letzte und vornehmste Gericht, das aufgetragen wurde, war eine frische, kalte, saure weiße Buttermilch. Auf diese Seltenheit taten sich die Schildbürger am meisten zu Gute. Sie hatten aber zweierlei Brot in die Milch gebrockt: vor des Kaisers Platz schwammen weiße Semmelwecken im Rahm, vor den andern lagen die Schwarzbrotbrocken in der Grundsuppe. Während sie nun aßen, der Kaiser das weiße, die Schildbürger das Haberbrot, erwischte von ungefähr ein derber Bauer einen Brocken von dem weißen Brot.
Kaum hatte der Schultheiß diesen groben Verstoß gegen den Kaiser wahrgenommen, als er den Bengel auf die Hände schlug und ihm zornig zurief: „Flegel, du willst des Kaisers Brot essen?“ Der Bauer erschrak, zog den Bissen schleunigst aus dem Munde zurück und legte ihn wieder in die Schüssel. Alsbald aber legte der Kaiser, der dies bemerkt hatte, seinen Löffel bei Seite und schenkte den Schildbürgern die noch übrige Milch mitsamt dem Weißbrot darinnen. Diese nahmen das Geschenk dankend an, löffelten die Milch vollends aus und lobten des Junker Kaisers Freigebigkeit höchlich.