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Die Seekrankheit und ihre Tücken
Auf und ab, auf und ab stieg und senkte sich das Schiff, emsig seinen Weg durch die entgegenstürzenden Wogen brechend, ohne zu stocken, gleichgültig für alles, was hinter uns lag, vorwärts! Auf und ab, auf und ab.
„Das nennt man stampfen,“ meinte ein kaufmännischer Landsmann, der kreidebleich auf mich zukam, ein geisterhaftes Lächeln auf den verzerrten Zügen. Sein lebhafter Ton war völlig verschwunden, der Menschheit ganzer Jammer hatte ihn sichtlich ergriffen, aber die Macht der Gewohnheit ließ ihn noch nicht versinken. „Jetzt fängt das Schiff auch an zu rollen. Wir bekommen voraussichtlich Seitenwind – Südwest, wenn wir noch etwas weiter draußen sind. Rollen nennt man“ – er unterbrach sich selbst mit erschreckender Plötzlichkeit. „Ich – ich – nehme noch einen Kognak – gehen Sie mit?“
Die Einladung erstarb auf dem Weg. Eine heftige Bewegung des Bootes „rollte“ ihn in der gewünschten Richtung nach der Kajütentreppe, und polternd, mit etwas Seewasser, die Treppe hinunter.
So, dies nennt man „rollen,“ dachte ich mit dem Rest von Vergnügen, dessen ich noch fähig war. Es war nicht viel. Auch ich begann die Macht des Großen Ozeans zu fühlen, der, man kann die Bemerkung kaum unterdrücken, sich in dieser Hinsicht gegen uns etwas kleinlich benimmt. Liegend soll der Widerstand länger möglich sein, hatte ich wiederholt gelesen, und auch der Tapferste kann mit Ehren der Übermacht weichen. Die nächste Sturzwelle schwemmte auch mich in die Kajüte hinunter.
Vier Hängelampen wild hin und her schaukelnd, erhellten mit trübem Licht den Raum. Stöhnen, Schluchzen, manchmal ein Schrei nach dem Steward, von Unglücklichen, die in großer Eile zu sein schienen, geheimnisvolles Porzellangeklapper, Laute, wie sie sonst auf der Erde nicht gehört werden, kamen aus dem dunstigen, säuerlichen Halbdunkel. Dann wohl auch ein kurzes Aufseufzen der Erleichterung – ach, wie kurz – und gleich darauf röchelnde Versuche, Unmögliches zu leisten. Manchmal entrang sich wohl auch ein allgemeinverständliches: „O Gott! O Gott!“ einer gepressten Seele oder ein zorniges „Sind Sie doch endlich still da droben! Ich will schlafen!“ und dann die Antwort: „Sie haben gut schimpfen, Sie, mit Ihrem Rhinozerosmagen!“ und die Fortsetzung ein unartikulierter, sachlicher Protest.
Mit den letzten Anstrengungen meiner Kräfte war es mir gelungen, in meine Koje zu kriechen und mein Handgepäck hinauszuwerfen. Dasselbe fiel zermalmend einem dicken Herrn auf den Rücken, der zu Glück nicht mehr fähig war, sich zu wehren. Dann drückte ich den Kopf in die hinterste, finsterste Ecke meines Lagers, hielt mich krampfhaft an einem rätselhaften eisernen Ring, der aus der Schiffswand bequem in mein Bett hineinragte, und stemmte die Knie gegen die Kajütendecke, so dass ich, nach allen Seiten wohl versteift, das auf und ab des Schiffes, halb besinnungslos, mitmachte. So konnte man das Weltende oder was sonst noch kommen mochte, mit einiger Zuversicht erwarten.
Das Schiff ging immer wieder auf und ab, auf und ab, als ob es nie etwas anderes getan hätte und so fortmachen wollte – auf und ab, auf und ab – in alle Ewigkeit.
Als ich zur Besinnung kam, dämmerte eine neblige, fröstelnde Helle um mich her. Die vier Lampen hingen schein- und regungslos von der Decke.
Ein freudiger Schreck fuhr mir durch mein zermalmtes Inneres. Ist es möglich? Haben wir – haben einige von uns die Nacht überlebt?
Ruhig und gemessen rauschten draußen die Räder des Dampfers. Hier innen herrschte tiefe, feierliche Stille. Alles schlief. Ein friedvoller Morgendrückte seine segnende Hand auf die Schrecken der Finsternis, die hinter uns lag. Die übriggebliebenen Menschenreste schlummerten glücklich einem neuen Leben entgegen.
Max Eyth