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Ein Intelligenztest für Eisenbahner
In den fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts lebte in dem Dörfchen N. ein biederer Häusling namens Ruschenbusch. Er war Arbeiter, wollte aber gern eine feste Anstellung bei der Eisenbahn haben und meldete sich deshalb, da bei seinem Dörfchen eine Haltestelle eingerichtet worden war, bei der zuständigen Behörde zum Eisenbahnwärter. Da wurde ihm geantwortet, seine Bitte könnte wohl erfüllt werden, aber er müsste erst vorher ein kleines Examen bestehen.
Ruschenbusch machte sich gleich am folgenden Tage nach Hannover auf, wo die Prüfung im Hause des Regierungsassessors G. stattfinden sollte. Über den verlauf des Examens erzählte Ruschenbusch nachmals seiner Frau und seinen guten Freunden folgendes:
Nun, da ging ich denn in die Stube hinein, und da saß denn der Herr Regierungsrat. „Guten Tag, Herr Regierungsrat!,“ sag ich. – „Guten Tag,“ sagt er. „Ist Er der Ruschenbusch aus N., der sich um Bahnwärterdienst gemeldet hat?“ – „Jawohl, Herr Regierungsrat,“ sag ich. – „So,“ sagt er, „dann muss Er ein kleines Examen machen. Setz Er sich.“ – „Jawohl, Herr Regierungsrat,“ sag ich und setze mich neben den Herrn Regierunsrat.
„Sag Er mal, Ruschenbusch,“ sagt da der Herr Regierungsrat, „kann Er denn wohl lesen?“ – „O ja, Herr Regierungsrat. Immer der Beste gewesen in der Schule. Habe unserem Schulmeister immer helfen müssen,“ sag ich. – „Schön,“ sagt er, „les Er mal!“ Und da gab er mir ein Buch her. Aber er gab es mir verkehrt her. Ich denke, weil er ein sehr vornehmer Mann war, darfst du doch das Buch nicht herumdrehen, und buchstabiere ihm denn da so einen Satz vor. „Ruschenbusch,“ sagt da der Herr Regierungsrat, „nennt Er das Lesen?“ – „Jawohl, Herr Regierungsrat,“ sage ich.
Da schüttelt er mit dem Kopfe und sagt: „Nun sag Er mal, Ruschenbusch, kann Er auch schreiben?“ – „O ja, Herr Regierungsrat. Immer der Beste gewesen in der Schule. Habe manchen Brief geschrieben,“ sag ich. „Schön,“ sagt der Herr Regierungsrat, „so schreib Er mal.“ Und nun gab er mir ein Stück Papier her und eine Stahlfeder. Nun habe ich mein Lebtag nicht mit Stahlfedern geschrieben, nur immer mit Gänsefedern, und das Papier war so furchtbar glatt.
Ich denke aber, bei solch vornehmen Herrn darfst du nichts sagen, und kritzle denn darauf los. „Ruschenbusch,“ sagt darauf der Herr Regierungsrat, „nennt Er das Schreiben?“ – „Jawohl, Herr Regierungsrat,“ sag ich. „Soll das wirklich sein Name sein?“ – „Jawohl, Herr Regierungsrat, sie haben‘s getroffen.“ – „Aber Ruschenbusch,“ sagt er da und schüttelt wieder mit dem Kopfe.
„Nun Ruschenbusch,“ sagt der Herr Regierungsrat, „kann Er denn wohl rechnen?“ – „O Herr Regierungsrat,“ sag ich, „immer der Beste gewesen in der Schule. Habe immer allen was vorrechnen müssen.“ – „Schön,“ sagt er, „dann rechne Er mal aus, wie viel die Hälfte von fünf ist.“
Ja, das war nun eine ganz kitzeliche Sache; zwei ist ein bisschen zu wenig und drei ist ein bisschen zu viel; na, ich denke, auf der Eisenbahn nehmen sie, was sie kriegen können, sollst mal drei sagen. „Drei,“ sag ich also. Da machte aber der Herr Regierungsrat ein sehr verdutztes Gesicht, er stand auf und sagte: „Ruschenbusch, Er ist durchgefallen und kann nach Hause gehen.“ – „Jawohl, Herr Regierungsrat,“ sag ich, „denn Adieu auch!“
Und nun hat er mir noch immer die Anstellung nicht gegeben. Warum hab ich denn nun eigentlich Examen gemacht?