Im Frühling
Der Frühling kam, der Frühling rief
Vom Berg in's Tal hinunter:
"Wär' euer Schlaf auch noch so tief,
Ihr Schläfer, werdet munter!"
Da regten tausend Keime sich
Und wurden stark und stärker,
Und dehnten sich und streckten sich
Und sprengten ihre Kerker.
Da traten Blätter zart und weich
Aus kleinen braunen Wiegen,
Um schüchtern an den schlanken Zweig
Sich innig anzuschmiegen.
Da sprang Schneeglöckchen pfeilgeschwind
Aus seinem grünen Bette;
Es glaubte schon das schöne Kind,
Daß es verschlafen hätte.
Da öffneten sich allzumal
Die Särge der Winterschläfer;
Da spielten in der Sonne Strahl
Die Mücken und die Käfer.
Da wurden auch die Veilchen wach,
Die tief im Grase wohnen,
Und bunte Primeln folgten nach
Und weiße Anemonen.
Da fing mein Herz zu klopfen an,
So schmerzlich und so bange;
Ein Strom von bittern Tränen rann
Heiß über meine Wange.
Der Lieben hab' ich still gedacht,
Die grüne Hügel decken,
Und die der Lenz mit seiner Macht
Nicht kann vom Schlaf erwecken.
von Julius Sturm