1.
Auf einem Gehöfte lebte ein alter Hahn; der hieß Henning, und seine Frau, die alte Henne, hieß Kratzfuß. Von den vielen Kindern, welche die beiden gehabt hatten, waren fast alle von ihrer Herrschaft aufgegessen. Nur zwei Hähnchen waren noch übrig; Gockelmann hieß der ältere und Hänel der jüngere. Beide waren muntere Burschen, keck, eitel und streitsüchtig, wie man es von jungen Hähnen nur verlangen kann. Aber der Gockelmann hatte eben nicht das Pulver erfunden, während sein Bruder Hähnel schon gescheiter war. Beißen mußten sie sich täglich ein paarmal; denn bei Hühnern gehört das zur guten Lebensart. Nun wohnte noch auf demselben Hofe ein rothaariger Hund, Phylax mit Namen; der war ein so gutmütiges Tier, daß er den Hühnern nie etwas zuleide tat. Oft ließ er ihnen sogar manchen guten Bissen von seinem Fressen übrig; daher hatten sie ihn denn auch alle gern. Eines Morgens spazierte einmal der Gockelhahn ganz gemütlich für sich allein in den großen Garten hinter dem Hause. Da wußte er ganz hinten am Ende des hölzernen Zaunes einen prächtigen, hohen Misthaufen, auf den er für sein Leben gern hinaufflog. Wie stolz und majestätisch kam er sich da oben vor! Wie krähte es sich da so hübsch über die weiten Felder hin!
Auch heute war sein erster Gang zu dem Haufen dort. Wie er nun so im besten Scharren, Kratzen und Krähen war, sah er am Wasser hinter dem Zaune Meister Reinecke, den Fuchs, liegen; der rührte und regte sich nicht und schaute fortwährend eifrig nach dem Ufersande hin. Gockelmann hatte wohl schon oft in seinem Leben von dem bösen Hühnerdiebe gehört, aber nie einen gesehen, und weil nun der Fuchs rothaarig war und sonst auch viel Ähnlichkeit mit einem Hunde hatte, redete er ihn an und rief: „Du da, bist du nicht der Bruder von unserm Phylax?“ Der Fuchs, der schon lange den appetitlichen jungen Hahn da oben gewittert hatte, dachte: „Warte, ich will dich schon fassen, wenn ich dich erst habe!“ Er blieb ruhig in seiner Stellung liegen und tat, als ob er nichts gehört hätte. „Du da, bist du nicht der Bruder von unserm Phylax?“ rief das Hähnchen noch ein paarmal mit lauter Stimme. „Ach sieh da, liebster Gockelmann!“ sprach endlich der Schlaue und richtete den Kopf in die Höhe. „Wie bin ich froh, daß ich dich einmal zu sehen bekomme, du kleiner lieber Kerl! Allerdings bin ich der Bruder von Phylax und der hat mir soviel Schönes von dir und deinem Bruder Hänel erzählt. Ihr sollt ja beide prächtig krähen können; du glaubst nicht, wie gern ich das anhöre! Leider bin ich jetzt erkältet, und die Erkältung hat sich mir auf die Ohren geworfen, so daß ich schwer in der Ferne höre. Du würdest mir eine große Freude machen, wenn du über den Zaun zu mir herunterfliegen möchtest und mir so recht in der Nähe etwas vorkrähtest.“
„Ich kann ja nicht zu dir kommen,“ sprach Gockelmann ganz traurig. Er fühlte sich so sehr geschmeichelt von dem Lobe des Fuchses. „Ach wie schade!“ sprach Meister Reinecke, „ich wollte dich auch noch um eine andere Gefälligkeit bitten. Der Doktor hat mir geraten, ich soll wegen meiner Taubheit frische, lebendige Regenwürmer auf die Ohren legen; da bin ich nun hergekommen, um mir welche zu holen und kann sie nicht mit meiner Schnauze fassen. Ja, wer deinen Schnabel hätte!“ „Regenwürmer, fette Regenwürmer? Sind denn wirklich welche da?“ fragte Gockelmann eifrig.
„Ach, und was für welche!“ sprach der Fuchs, „Kerle, wie die Aale so fett; das kribbelt und wibbelt davon hier unten beim Wasser. Nie in meinem Leben sah ich solche Menge beisammen.“ Wie das der Gockel hörte, konnte er sich nicht halten; er hob die Flügel, um über den Zaun zum Fuchse hinunter zu fliegen. Sein liebstes Essen von der Welt waren ja fette Regenwürmer! – Aber vergebens! Gerade gestern hatte die Köchin ihm die Flügel beschnitten, damit er eben nicht überall hinfliegen könne. So ward es ihm unmöglich, hinunter zu flattern.
Er klagte dem Fuchs sein Leid. Dieser wollte ihm eben einen guten Rat geben, wie er trotzdem aus dem Garten heraus zu ihm kommen könne, da ließen sich aber in der Nähe Menschenstimmen hören. Der Fuchs hatte gerade noch Zeit, dem leichtgläubigen Gockelmann zuzurufen: „Komm morgen wieder, du Herzens-Gockelmann, und bring doch auch ja deinen lieben Bruder Hänel mit! Dann wollen wir mehr miteinander sprechen, hörst du?“ Darauf streckte er den Schwanz hoch in die Luft und lief, was er nur konnte, ins Feld hinein. Traurig ging Gockelmann nach seinem Hofe. Fortwährend dachte er an das leckere Frühstück, wovon der Fuchs ihm gesagt hatte. Daheim angelangt, erzählte er nun seinen Eltern, was ihm begegnet war. Nach seinen Worten konnten die alten Hühner auch nicht anders denken, als das der taube Freund am Ufer ein Hund gewesen wäre. „Alterchen,“ sprach Frau Kratzefuß zum Hahn,  „wie wär‘s, wenn wir morgen um diese Zeit alle zusammen nach der Stelle hingingen, wo die Regenwürmer sind? Wir haben lange keine gegessen, und es ist doch das Köstlichste, was ein Geschöpf essen kann.“ „Schon recht, Mutter!“ sprach der alte Henning. „Wir können schon hin; ich möcht‘ aber auch gern unsere lieben Kinder mitnehmen, und denen sind ja leider gestern die Flügel beschnitten.“ „Wird schon gehen,“ sprach die Henne, „laß mich nur machen! Ich weiß, da ist unter dem Gartenzaun ein kleines Loch in der Erde; das kratzen und scharren wir beide soweit auf, daß wir die Kinder bequem durchbringen. Nicht wahr, du hilfst dabei?“ „Nun meinetwegen!“ rief Henning, und die ganze Hahnfamilie freute sich schon im voraus auf das Frühstück.
2.
Kaum waren am anderen Morgen früh die Hühner aus dem Stalle gelassen, so liefen sie, wie es verabredet war, in den Garten. Das Loch unter dem Zaune war bald gefunden. Die gute Kratzefuß scharrte es mit Beinen und Flügeln größer. Bald schlüpften alle vier durch, und nun ging’s halb laufend, halb fliegend zu der Stelle am Bache hin, wo gestern der Fuchs gelegen hatte. Sie suchten, sie scharrten, sie pickten, - von Regenwürmern war keine Spur zu finden. Ermüdet hörten endlich die Hähne auf, danach zu suchen; nur die Henne scharrte und kratzte noch immerzu; sie hoffte doch noch das ersehnte Regenwürmer-Frühstück zu finden. „Hör auf, Mutter!“ sprach endlich Hähnel mit einem ärgerlichen Seitenblicke nach dem Bruder hin; „der Gockelmann hat sich wahrscheinlich wieder zum Narren halten lassen von irgendeinem Landstreicher von Hund oder gar von unserem Totfeinde, dem Meister Reinecke selber. Dem Gockelmann kann man solche Weisheit schon zutrauen.“ „Was willst du damit sagen?“ fuhr Gockelmann gegen seinen Bruder los. „Was ich damit sagen will?“ erwiderte Hänel ganz ruhig, „ich will damit sagen, daß du ein dummer Junge bist!“ „Ein dummer Junge?“ schrie der andere, „Bruder, du hast mich beschimpft! Wir müssen uns schlagen Ich fordere dich!“ „Auf Schnäbel oder auf Sporen?“ fragte Hähnel. „Auf alle beide!“ „Meinetwegen, komm heran!“ sprach der Herausgeforderte, und die Kämpfer stellten sich gegeneinander auf. Frau Kratzefuß wollte die Söhne auseinanderbringen; aber der alte Henning sagte: „Mutter, laß die beiden ruhig miteinander beißen! Hähne sind Hähne; wie ich jung war, hab‘ ich’s mit meinen Brüdern genauso gemacht.“ So kämpften denn die beiden streitsüchtigen Hähne ihren Zank nach der richtigen Hahnenordnung aus. Erst standen sie lange Zeit gegeneinander gekehrt, mit gesträubten Halsfedern, die Köpfe tief, die Schwänze hoch; dann pickten sie grimmig in den Sand; zuletzt aber flogen sie scharf aufeinander los und versuchten mit ihren Sporen und Schnäbeln sich eins zu versetzen. So wiederholten sie den Kampf vielemal. Beide hielten sich gleich tapfer; aber Hähnel, obgleich der jüngere, war doch stärker als sein Bruder. Er biß zuletzt den armen Gockelmann so zusammen, daß dieser matt ins Gras fiel und sich für besiegt erklärte. Jetzt rauschte es plötzlich im Busche neben den Hühnern. „Der Fuchs, der Fuchs!“ schrie der alte Hahn mit einem laut gellenden Schrei. Er und die Henne und der tapfere, siegreiche Hähnel rissen nun aus, was sie konnten, über Disteln und Dornen, über Stock und Stein. Der arme Gockelmann aber, der, vom Kampf ermattet, nicht so schnell laufen konnte, wurde von dem listigen Fuchs beim Kragen gefasst und unbarmherzig gewürgt. Aber nun wollt ihr wohl auch noch wissen, wie es den Meister Reinecke erging. Dem bekam sein Raub schlecht; denn Füchse sind listig, aber Menschen sind noch listiger. Die Hühner hatten ihr Unglück dem Hofhunde geklagt; der Hofhund erzählte die Geschichte seinem Herrn, und der Herr stellte bei dem Loche am Gartenzaune, wo die Hühner durchgeschlüpft waren, eine Falle auf, in der er eine Taube befestigte. Da kam eines Nachts der Hühnerdieb geschlichen; er meinte, durch den Garten in den Hof und von da in den Hühnerstall einzubrechen. Da hätte er sich gar zu gern den lieben Hähnel zum Nachtessen geholt. Diesmal aber hatte der Schlaukopf sich verrechnet; er fing sich selbst in dem Fuchseisen, wurde totgeschlagen, und von seinem Fell ist eine Pelzmütze gemacht worden, die ihr noch beim Pelzhändler sehen könnt. Wo aber dieser Pelzhändler seinen Laden hat, das hab ich wirklich vergessen.

Robert Reinick