Die Hausmaus
Die Maus hält sich in allen Teilen der menschlichen Wohnung auf. Auf dem Lande haust sie auch im Freien, im Garten oder in den nächsten Feldern und Wäldchen. In der Stadt verlässt sie nicht das Wohnhaus und seine Nebengebäude. Hier bietet ihr jede Ritze, jede Höhle, jeder Winkel ein Obdach. Mit größter Schnelligkeit rennt sie auf dem Boden dahin; sie klettert vortrefflich und springt ziemlich weit. Beim Klettern leistet ihr der Schwanz sehr gute Dienste; sie versteht sich damit zu halten und zu unterstützen. Schwimmen kann sie auch; aber sie geht nicht gern freiwillig ins Wasser. Ihre Sinne sind vorzüglich: sie hört das leiseste Geräusch, riecht scharf und auf weite Entfernung; sie sieht sehr gut, vielleicht noch besser bei Nacht als bei Tage. Ihre Bewegungen sind überaus zierlich. Gar nett ist es anzusehen, wenn sie flitzt und sich mit den Pfötchen putzt und wäscht. Sie kann sich auch auf den Hinterbeinen aufrichten und einige Schritte machen wie ein Mensch. Dann und wann stützt sie sich dabei mit dem Schwanze. Wer sie recht kennt und beobachtet, dem wird sie bald ein Liebling unter den Tieren. Dieser kann dann nicht begreifen, wie man dem hübschen Dinge böse sein kann oder gar sich vor ihm fürchten mag. Die Maus ist gutmütig und harmlos; sie hat darin keine Ähnlichkeit mit ihrer Base, der tückischen und boshaften Ratte. Sie ist listig und klug. Sie merkt bald, wo sie geschont wird. Mit der Zeit gewöhnt sie sich so an den Menschen, Dass sie vor seinen Augen hin und her läuft und ihre Hausgeschäfte betreibt. Im Käfig ist sie schon nach wenigen Tagen zahm und zutraulich. Musik liebt die Maus sehr; sie lässt sich damit aus ihrem Verstecke hervorlocken und vergisst alle Furchtsamkeit. Die Zimmer, wo regelmäßig Musik gemacht wird, werden dann ihr Lieblingsaufenthalt, und selbst am hellen Tage erscheint sie dort. Alle angenehmen Eigenschaften unserer Freundin werden aber meistens über ihre Lüsternheit und Genäschigkeit vergessen. In der Speisekammer sucht sie sich immer die besten Bissen aus. Sie liebt besonders Süßigkeiten, Fleisch, Käse, Fett, Früchte und Körner, und sie findet immer das allerbeste heraus. Wo sie etwas Essbares wittert, da erscheint sie. Mit ihren spitzen Nagezähnen verschafft sie sich überall Zugang. Sie arbeitet dann oft angestrengt mehrere Nächte lang und durchnagt die festesten Türen. Manchmal legt sie sich auch Vorräte an. Wasser trinkt sie nicht gern. Sie liebt Milch und süße Getränke. Einer ihrer Freunde erzählt davon folgende Geschichte: Ich saß und schrieb; auf dem Tische lagen allerhand Brotkrümchen von meinem Frühstück, und auf einem Teller stand ein Gläschen, noch halb mit süßem Wein gefüllt. Da hörte ich ein Geräusch und sah eine Maus  an den Beinen des Tisches heraufklettern. Bald war sie oben. Mit einem Sprung saß sie auf dem Gläschen und steckte ihr spitzes Schnäutzchen hinein. Sie leckte und leckte ganz eifrig. Durch ein Geräusch erschreckt, sprang sie dann herunter und versteckte sich. Bald aber war sie wieder da, und ich sah nun an ihren spaßhaften Sprüngen, dass ihr der Wein etwas in den Kopf gestiegen war. Die Maus haz gar viele Feinde; der Mensch stellt ihr auf alle Arten  und mit den künstlichen Fallen nach; in alten Gebäuden verfolgt sie die Eule, auf dem Lande der Iltis und das Wiesel, der Igel und die Spitzmaus; die schlimmste aber ihrer Feindinnen ist und bleibt die Katze.
 
Alfred Edmund Brehm.