Die Diebe
 
Da war einmal ein kleiner Dieb,
Der stahl ein Brot dem Kind zulieb,
Und wurde schier gefangen,
Und konnte erst in Jahr und Stund,
Trotz sein und seines Weibes Mund,
Die Freiheit wieder erlangen.
Dem Andern war’s Glück auch nicht hold:
Stahl einem Filz’nen Sack mit Gold
Durch Einbruch still und nächtens;
Und eh’ noch ein halb Jahr verging,
Er am Gevatter Dreibein hing,
Und das von wegen Rechtens.
Der Dritte war ein großer Dieb,
Der stahl sich ganz allein zulieb
Der Menschen Ehr’ und Rechte,
Und Städt’ und Länder obendrein:
Dem täten sie Ruhmesopfer weih’n,
Und dienten ihm wie Knechte.
Nun weiß ich doch wahrhaftig nicht,
Wie solch ein dummes Ding geschieht,
Und müßte doch vermeinen,
Daß, wenn euch Gott das Urteil lenkt’,
Der dritte Dieb viel höher hängt,
Als wie die beiden kleinen!
 
Adolf Glaßbrenner (1810–1876)