Der Schneidertraum

„Willst du mich heute nicht als Lehrling annehmen?“ Also sagte Jakob Trüb zum Schneider Mellhorn.
Meister Mellhorn antwortete: „Jakob! was hast du geträumt?“
„mir hat geträumt,“ erwiderte Jakob, „ich habe in einer Lotterie gesetzt und vieles gewonnen.“
Der Meister versetzte: „Jakob, heute nehme ich dich nicht an.“
Am anderen Morgen fragte der Junge wieder das nämliche und so fünf Tage nacheinander. Aber alle Mal, wenn er seinen Traum erzählt hatte, antwortete der Meister: „Ich nehme dich heute nicht an.“
Am sechsten Tage erzählte Jakob: „Heute träumte mir, ich sitze auf einem Schneiderstuhl und schwitze den ganzen Tag bei meiner Arbeit, dass mir die Tropfen von Stirn und Wange auf meine Kleider herabfallen, und am Abend, da ich endlich meine Nadel hingelegt hatte, fand ich sie ganz golden.“
„Gut!“ Sagte der Meister, „das ist der Schneidertraum, wie ihn ein Junge träumen muss, ehe man ihn annimmt.“

Johann Heinrich Pestalozzi