Der Prahlhans
Zur Zeit der Belagerung Wiens durch die Türken griff alles zu den Waffen. Die Zünfte der Handwerker stellten Freischaren bei, die Wunder an Tapferkeit verrichteten. Bei den Mannen der Schneiderzunft befand sich ein Scherenheld namens Hans Dachs. Der hatte zwar das Herz nicht auf dem rechten Fleck, aber doch das Maul. Beim Glase Wein klagte er einmal seinen Kameraden, dass sein Posten sich an einer Stelle befinde, wo es gar zu wenig zu tun gebe. „Ich,“ fügte er prahlend hinzu, „nehme mit Spaß vier Türken auf mich allein; aber man bekommt keine Gelegenheit zu zeigen, was man kann.“
Als der Held darauf weggegangen war, verabredeten drei seiner Kameraden, seine Tapferkeit auf die Probe zu stellen. Einer von ihnen verkleidete sich in einen prächtigen Türken. Der lange rote Rock und die faltigen blauen Beinkleider vermummten ihn ganz täuschend. Auf den Kopf setzte er sich einen großen Turban, an dem ein glänzender Halbmond von Silberpapier nicht fehlte. Mit Hilfe eines Korkstöpsels wurde ein schwarzglänzender Schnurrbart hergestellt, der die Breite des ganzen Gesichtes einnahm. Diese gelungene Türke versteckte sich in einer Ecke beim Judenschanzel, dass der Posten des Hans Dachs zu bewachen hatte, und harrte des Weiteren. Die beiden andren Kameraden aber kamen zum Dachs ins Standlager, taten sehr eilig und teilten ihm mit, Dass sie eben im Stadtgraben beim Judenschanzel eine Anzahl Türken bemerkt hätten, die sich anschickten, in aller Stille die Wälle zu übersteigen.
„Komm mit!“ fuhren sie fort. „Wir wollen auch keinen Lärm machen, aber die Schleicher empfangen, dass es eine Art hat. Wir werden mit ihnen schon fertig sein, ehe unsre Kameraden etwas hören und herzulaufen. Da lässt sich Ehre anlegen.“ Hans Dachs ergriff sofort sein Gewehr und ging mit; er stellte sich auch freudig und herzhaft genug an. Als aber die Kameraden an die Wälle kamen, sprang plötzlich mit lautem Allahruf und den Säbel schwingend ein Türke hervor. Die beiden Kameraden stürzten sich auf ihn, und nachdem einige Lufthiebe gewechselt worden waren, ließen die drei die Waffen sinken und lachten; denn - - Hans Dachs war verschwunden. Sie machten sich auf, ihn zu suchen, und fanden ihn schließlich in einem Erdloche, das zur Bergung des Schießbedarfs diente. „Grüß‘ dich Gott Hans!“ sagte der Türke. „Komm nur heraus aus deinem Loch, Held Dachs,“ spotteten die andren. „Der Türke spricht viel zu christlich, um dir was zu tun.“
Die Geschichte wurde bald in der ganzen Stadt bekannt und das Loch, in dem sich der traurige Held verkrochen, erhielt den Namen Dachsloch. Er hieße wohl noch heute so, wenn es nicht mit den alten Befestigungen verschwunden wäre.