Der kluge Schäferjunge
Im siebenjährigen Kriege raubte ein russischer Soldat einem Schäferjungen einen Hammel von der Weide. Der Knabe bat inständig, ihm seinen Hammel zu lassen, doch der Soldat war unerbittlich und schleppte das Tier fort. Da lief der Knabe so dem obersten des Regiments. Dieser versprach, den Soldaten streng zu bestrafen, sobald der Schäferjunge ihn herausfinden könne. „Wenn ich sehe,“ erwiderte dieser, „so werde ich ihn gewiss wieder erkennen.“
Der Oberst ließ das Regiment antreten. Als es aufgestellt war, ging der Knabe hinter die Glieder und lief die Reihen ab. „So wirst du den Dieb nicht finden,“ sprach der Oberst, „auf dem Rücken sieht einer wie der andere aus.“ „Der, den ich suche,“ versetzte der Knabe, „sieht anders aus.“ Er eilte weiter und zeigte endlich auf den sechsten Mann im dritten Gliede. „Hier, Herr Oberst, hier habe ich den Hammeldieb!“ Er zog ein Stück Rotstein aus der Tasche und erzählte: „Mit diesem Rötel zeichnen wir unsere Hämmel und damit habe ich dem Soldaten einen Strich hinten auf seine Degenkoppel gemacht, um ihn wieder zuerkennen.“
„Bravo,“ sagte der Oberst, „der Einfall ist einen Dukaten wert.“-„Wer wird mir aber den geben?“ fragte der Knabe.
Der Oberste lachte und sprach: Ich, du Schlaukopf!“ er zog seine Börse und gab dem erfreuten Knaben das Geldstück. Der diebische Soldat musste den Hammel ersetzen und wäre streng bestraft worden, wenn nicht der Knabe Fürbitte für ihn eingelegt hätte.
Volkserzählung