Ein seltsamer Ausspruch des Bürgermeisters zu Hildesheim


Im Jahre 1557 ereignete sich zu Hildesheim eine seltsame Geschichte. Ein armer Bauersmann aus einem nahen Dorfe, der nicht zu beißen und zu brechen hatte, brachte auf zwei Eseln etwas Ware nach der Stadt, die er auf dem Markte verkaufte. Nachdem er etliche Groschen daraus gelöst, wollte er sich auch einmal einen guten Tag machen, ging deshalb in die Garküche, einen ordentlichen Braten zu essen und band seine Esel nahe dabei an die Mauer.
Die armen Tiere aber waren ebenso hungrig und durstig wie ihr Herr, rissen sich los und suchten hin und her, ob sie etwas für ihre knurrenden Mägen und ihre durstigen Kehlen finden möchten.
Nun hatte der Apotheker, der in der Nähe der Garküche wohnte, gerade an dem Tage Claret, das ist Kräuterwein, bereitet, wie ihn die Leute dazumal gern tranken. Denselben er in zwei Kübeln unten im Hausflur stehen lassen und sich dann zu Tisch gesetzt. Das Gesinde aber hatte die Haustür offen gelassen, und so spazierten die beiden Esel stracks hinein, fielen über die Kübel her und ließen sich‘s wohl schmecken.
Dies starke Getränk aber waren die Esel nicht gewohnt, sie wurden davon ganz trunken und tanzten und sprangen auf dem Marktplatz herum, als ob sie wahnsinnig wären. Als die Anwohner des Marktes dies sahen, wunderten sie sich nicht wenig über die seltsamen Sprünge der beiden Grauröcke und Jung und Alt schaute ihnen zu, und niemand wusste sich die Sache zu erklären.
Auch der Apotheker hörte den Skandal draußen und eilte hinaus, um das seltsame Schauspiel in der Nähe zu betrachten. Als er aber auf dem Hausflur die leeren Kübel bemerkte und auch draußen vernahm, dass die Esel aus der Apotheke gekommen seien, da ward ihm die ganze Geschichte mit Schrecken klar. Man suchte nunmehr den Herrn der Esel zu ermitteln.
Nach vielem Forschen und Fragen fand man ihn endlich in der Garküche, wo er gemütlich bei seinem Braten saß und es sich wohl schmecken ließ. Der Apotheker fuhr ihn mit ernsten und zornigen Worten an, dass er sich um seine Esel so wenig gekümmert habe und forderte Bezahlung für seinen Wein. Der Bauer aber ließ sich durch nichts aus seiner Ruhe bringen und erwiderte gelassen: „Ich weiß wirklich nicht, was Ihr wollt. Haben Euch meine Esel um den Wein gebracht, so ist‘s doch wahrlich nicht meine Schuld. Ich hab‘s ihnen nicht befohlen.“
Diese Antwort fasste der Apotheker als herben Spott auf. Bald holte ein Wort das andere und der Apotheker bestand darauf, dass der Bürgermeister die Sache entscheiden musste. So zogen denn beide nach dem Rathause zum Stadtoberhaupte. Hier forderte der Apotheker, dass das Bäuerlein ihm den Wein bezahlen und auch dafür bestraft werden solle, dass er seine Esel hätte frei herumlaufen lassen, denn hierdurch hätte in der Stadt großer Schaden angerichtet werden können.
Der Bauersmann aber erwiderte: „Herr Bürgermeister, ich bitte, diese Klage als nichtig abzuweisen. Hätte der Apotheker seine Haustür verschlossen gehalten, und es wäre ihm dann von mir oder meinen Eseln etwas Unrechtes geschehen, so würde ich mich nicht weigern, den Schaden zu tragen. Das ist aber nicht geschehen. Er hat vielmehr die Haustür sperrweit offen gelassen, so dass die unvernünftigen Tiere ungehindert eintreten konnten. Und so muss ich denn Schadensersatz verlangen, wenn meine Esel von dem Trunk etwa krank werden oder sterben sollten.“
Der Bürgermeister war anfangs in nicht geringer Verlegenheit und wusste nicht, wie er den Ansprüchen der beiden gerecht werden sollte. Endlich schoss ihm ein guter Gedanke durch den Kopf und er sprach: „Wie wär‘s, wenn ihr auf beiden Seiten mit dem, was ich für Recht ansehe, zufrieden sein wollt?“ – „Warum nicht?“, antworteten beide. Da fragte der Bürgermeister den Apotheker, ob die Esel beim Trinken gestanden oder gesessen hätten. „Ei, welch merkwürdige Frage!“, sprach der Apotheker. „Selbstverständlich haben doch die Esel beim Trinken gestanden; es war doch keine Bank da.“ – „Ei nun,“ erwiderte der Bürgermeister jetzt wieder, „ist das der Fall, dass die Esel stehend getrunken haben, so muss ich wohl oder übel diesen Trunk als Ehrentrunk anerkennen, und Ehrentrünke, die die Stadt ihren Gästen bietet, lässt sie sich nicht bezahlen. Anders wäre freilich die Sache, wenn die Esel gesessen hätten. Dann allerdings müsste man es wohl für eine Zeche halten und du, Bäuerlein, müsstest für deine Esel bezahlen.“
Der Apotheker sah wohl ein, dass auch der Bürgermeister seinen Schaden ins Lächerliche zog, ließ seine Ansprüche fahren und reichte dem Bauern die Hand zur Versöhnung. Dieser machte sich, als seinen Eseln der Rausch vergangen, schleunigst auf den Heimweg.