Fabeln spiegeln oft menschliches Verhalten wieder.

Im Mittelpunkt der Handlung stehen oft Tiere, Pflanzen oder andere Dinge, denen menschliche Eigenschaften zugeordnet sind. Die Tiere handeln, denken und sprechen wie Menschen. Die Personifikation der Tiere dient dem Autor häufig als Schutz vor Bestrafung, denn er übt keine direkte Kritik aus. Häufiges Fabelthema sind auch Ständeordnungen. Die Fabel wirkt belehrend und enthält in erster Linie nicht Witz, sondern humorvolles Gleichnis.

 

Der Geizige
„Ich Unglücklicher!“ klagte ein Geizhals seinem Nachbar. „Man hat mir den Schatz, den ich in meinem Garten vergraben hatte, diese Nacht entwendet und einen verdammten Stein an dessen Stelle gelegt.“
„Du würdest“, antwortete ihm der Nachbar, „deinen Schatz doch nicht genutzt haben. Bilde dir also ein, der Stein sei dein Schatz; und du bist nichts ärmer.“
„Wäre ich schon nichts ärmer“, erwiderte der Geizhals; „ist ein andrer nicht um so viel reicher?
Ich möchte rasend werden.“


Der Hamster und die Ameise

„Ihr armseligen Ameisen“, sagte ein Hamster. Verlohnt es sich der Mühe, dass ihr den ganzen Sommer arbeitet, um ein so Weniges einzusammeln? Wenn ihr meinen Vorrat sehen solltet!“

„Höre“, antwortete eine Ameise, „wenn er größer ist, als du ihn brauchst, so ist es schon recht, dass die Menschen dir nachgraben, deine Scheuern ausleeren und dich deinen räuberischen Geiz mit dem Leben büßen lassen!“


Das Lamm und der Wolf

Ein Lämmchen löschte an einem Bache seinen Durst. Fern von ihm, aber näher der Quelle, tat ein Wolf das gleiche. Kaum erblickte er das Lämmchen, so schrie er:
„Warum trübst du mir das Wasser, das ich trinken will?“
„Wie wäre das möglich“, erwiderte schüchtern das Lämmchen, „ich stehe hier unten und du so weit oben; das Wasser fließt ja von dir zu mir; glaube mir, es kam mir nie in den Sinn, dir etwas Böses zu tun!“
„Ei, sieh doch! Du machst es gerade, wie dein Vater vor sechs Monaten; ich erinnere mich noch sehr wohl, dass auch du dabei warst, aber glücklich entkamst, als ich ihm für sein Schmähen das Fell abzog!“
„Ach, Herr!“ flehte das zitternde Lämmchen, „ich bin ja erst vier Wochen alt und kannte meinen Vater gar nicht, so lange ist er schon tot; wie soll ich denn für ihn büßen.“
„Du Unverschämter!“ so endigt der Wolf mit erheuchelter Wut, indem er die Zähne fletschte. „Tot oder nicht tot, weiß ich doch, dass euer ganzes Geschlecht mich hasset, und dafür muss ich mich rächen.
Ohne weitere Umstände zu machen, zerriss er das Lämmchen und verschlang es.
Ist des Bösen Gewissen noch so schwer, es muss ja nur ein Vorwand her.


 

Das Pferd und der Esel

Ein Bauer trieb ein Pferd und einen Esel, beide gleichmäßig beladen, zu Markte. Als sie schon eine gute Strecke vorwärts gegangen waren, fühlte der Esel seine Kräfte abnehmen. „Ach“, bat er das Pferd kläglich: „Du bist viel größer und stärker als ich, und doch hast du nicht schwerer zu tragen, nimm mir einen Teil meiner Last ab, sonst erliege ich.“
Hartherzig schlug ihm das Pferd seine Bitte ab: „Ich habe selbst meinen Teil, und daran genug zu tragen.“
Keuchend schleppte sich der Esel weiter, bis er endlich erschöpft zusammenstürzte.
Vergeblich hieb der Herr auf ihn ein, er war tot. Es blieb nun nichts weiter übrig, als die ganze Last des Esels dem Pferde aufzupacken, und um doch etwas von dem Esel zu retten, zog ihm der Besitzer das Fell ab und legte auch dieses noch dem Pferde oben auf.
Zu spät bereute dieses seine Hartherzigkeit. „Mit leichter Mühe“, so klagte es, „hätte ich dem Esel einen kleinen Teil seiner Last abnehmen und ihn vom Tode retten können. jetzt muss ich seine ganze Last und dazu noch seine Haut tragen.“
Hilf zeitig, wo du helfen kannst. Hilf dem Nachbarn löschen, ehe das Feuer auch dein Dach ergreift.



Wer es auch sei, der einen Rat dir beut –
ihn ungeprüft verschmähn, wär' nicht gescheut.

Einst kam aus einem fernen Reiche
ein Aar mit seinem Weib in einen dichten Wald;
der lockte sie zu festem Aufenthalt.
Sie wählten eine hochbelaubte Eiche,
im Gipfel sich ihr Nest zu baun;
im Geiste sahen sie die Jungen flügge schon.

Der Maulwurf hört davon,
er fasst sich Mut, dem Adler zu erzählen,
der Eiche Wurzeln seien krank,
ihr sei der Sturz gewiss, und zwar nicht über lang',
drum möge seine Hoheit sie nicht wählen. –

Ei, hat ein Aar zu hören auf den Rat,
den aus so niedrer Grube er empfaht?
Von einem Maulwurf gar? Wo bliebe da der Ruhm
des Adlerblickes, der so scharf,
dass sich kein andrer ihm vergleichen darf!
Und darf ein Tier, so blöd und dumm,
sich mischen in des Vogelfürsten Tun?
Der Adler läßt die Sach' auf sich beruhn
und geht ans Werk mit rüst'ger Eile,
den neuen Sitz zu baun, darin das Weibchen weile.
Und alles ging nach Wunsch. Die Aarin hat auch Junge.
Doch was geschah? Als einst im Morgenlicht
aus Wolkenhöh' der Aar herniederbricht,
mit würz'ger Frühkost für der Seinen Zunge,
gewahrt er, dass die Eiche fiel,
im Sturze ihm begrabend Weib und Kind.
Er kennt des Jammers nun nicht Maß noch Ziel.
„Weh mir“, ruft er, „wie blind war ich,
wie grausam muss ich büßen,
dass ich mich konnte nicht entschließen,
zu hören auf vernünft'gen Rat.
Wer war des aber auch gewärtig,
dass selbst ein Maulwurf Einsicht hat?“
„Warst du nicht so hoffärtig“,
ruft es von unten her, „so hättest du erwogen,
dass es mein Los,
zu wühlen in der Erde Schoß,
dass ich ja dazu bin erzogen,
und dass ich, weiland in der Wurzel Nähe,
ob noch gesund ein Baum, am besten sehe.“